Die oberste Voraussetzung für den Aufbau interkultureller Kompetenz ist das Vorhandensein von sozialer Kompetenz. Soziale Kompetenz zu besitzen, bedeutet, Rollenerwartungen in bestimmten Situationen genau zu kennen und über Fertigkeiten zu verfügen, die für die erfolgreiche soziale Interaktion notwendig sind.
Dazu gehört beispielsweise, das Verhalten anderer zu verstehen und angemessen darauf zu reagieren. Oder auch zu wissen, wie man sich einer Situation entsprechend verhält. Man hat die Fähigkeit, mit seinen Mitmenschen einfühlsam, fair und konstruktiv umzugehen, weil man die Stimmungen anderer wahrnehmen und darauf reagieren kann.
Soziale Kompetenz übertragen
In der Folge basiert interkulturelle Kompetenz auf der Fähigkeit, auch dann sozial kompetent zu handeln, wenn Personen aus einer oder mehreren anderen Kulturen stammen. Man sollte wissen, wie Rollen und Situationen, in denen man handelt, in bestimmten fremden Kulturen verstanden werden und akzeptieren können, dass das „andere“ Verhalten dort ebenso der Norm entspricht wie das eigene, als richtig empfundene Verhalten.
Interkulturelle Kompetenz ist somit immer eine Kombination aus bestimmten Eigenschaften und dem Wissen über die jeweils andere Kultur.
Stereotype und Vorurteile
In Sachen Wissen über eine Kultur machen wir nun einen kurzen Abstecher zum Thema Stereotype und Vorurteile – um was geht es hier eigentlich?
Unter beiden Begriffen versteht man zunächst das Vorhandensein einer bestimmten Annahme oder einer vorgeprägten Idee über eine Person oder eine Gruppe. Und beide sind konstituierend für den Menschen, denn letztlich muss jeder für sich die Komplexität der Welt reduzieren. Ohne diesen Vorgang würden wir mit allen Einzelinformationen hoffnungslos überfordert sein.
Trotzdem besteht ein Unterschied zwischen Stereotypen und Vorurteilen. Und der liegt weniger darin, wie er zustande kommt, als vielmehr, wie damit umgegangen wird.
Stereotype sind flexibel und lassen sich schnell anpassen, wenn sich die Situation verändert. Das heißt, es erfolgt immer ein Abgleich zwischen der Vereinfachung und der Realität.
Vorurteilen hingegen fehlt dieser Abgleich mit der Realität. Zudem sind sie oft von feindseligen Gefühlen geprägt. Sie wirken blockierend und verstellen uns daher die Möglichkeit, adäquat mit unserer Umwelt umzugehen. Dadurch wirken sie einschränkend bis destruktiv.
Auch wenn Stereotype uns bestimmte Sichtweisen erleichtern können, besteht generell natürlich die Gefahr, in ihnen zu verharren, wodurch sie sich zu Vorurteilen manifestieren. Ist man sich dieser Gefahr aber bewusst, können Stereotype bis zu einem gewissen Grad hilfreich sein, da sie letztlich ja nicht willkürlich aus der Luft gegriffen sind.
Stereotype sind also hilfreich, wenn
- sie bewusst angewandt werden, das heißt, wenn man sich darüber im Klaren ist, dass man eher Gruppennormen als das Verhalten einzelner Personen beschreibt.
- sie eher beschreiben als bewerten. Das heißt, man geht von einem wahrscheinlichen Verhalten aus und bewertet dieses weder als gut noch als schlecht.
- sie eine möglichst genaue Beschreibung des Gruppenverhaltens liefern. Das heißt, je mehr differenziert wird, desto genauer wird die Beschreibung – desto mehr verabschiedet man sich aber auch von der Stereotypisierung.
- sie als vorläufige Informationen verstanden werden, die korrigiert bzw. angepasst werden, sobald unmittelbare Informationen über eine Gruppe oder eine Person gesammelt werden können.
- sie veränderbar sind, d.h. sie sollen anhand weiterer Beobachtungen und Situationen, die sich mit den tatsächlichen Interaktionspartnern ergeben, modifiziert werden.
Interkultureller Dreischritt
Der Weg zur Entwicklung interkultureller Kompetenz lässt sich anhand von drei Schritten aufzeigen: Bewusstsein, Wissen und Anwendung.
1) Bewusstsein
Kulturelle Unterschiede werden fast immer unterschätzt. Das führt dazu, dass „Fehler“ Personen zugeschrieben werden und nicht ihrem kulturellen Hintergrund. Um mit kulturellen Unterschieden adäquat umgehen zu können, ist es wichtig, sich diese zunächst einmal bewusst zu machen. Erst dann erlangt man die notwendige Offenheit, um Verhaltens- und Arbeitsweisen von Kollegen und Geschäftspartnern aus anderen Kulturen zu deuten, Hypothesen zu bilden und sogar Annahmen über künftige Handlungen zu machen.
2) Wissen
Der zweite Schritt besteht darin, Wissen über die andere Kultur zu sammeln. Erst dadurch sehen wir uns immer mehr in der Lage, die Handlungsweisen unserer Geschäftspartner vorherzusehen. Das Lernen auf dieser Ebene hört – ähnlich wie bei sozialen Kompetenzen generell – niemals auf.
3) Anwendung
Zu guter Letzt gilt es, Konsequenzen aus dem Bewusstsein und dem gewonnenen Wissen zu ziehen und Handlungsalternativen zur bisher üblichen Herangehensweise zu finden. Es ist eine persönliche Entscheidung, wie weit man dabei gehen möchte.
Selbst- und Fremdbild
Einen weiteren großen Einfluss auf unsere interkulturellen Kontakte hat der Deckungsgrad von Selbst- und Fremdbild der beteiligten Personen. Selbst- und Fremdbild werden stark von unseren eigenen Erfahrungen und von vorhandenen Stereotypen und Vorurteilen bestimmt.
Bei zwei Personen aus zwei verschiedenen Kulturen haben wir es mit mindestens vier Bildern zu tun: wie jeder sich selbst sieht und wie jeder den anderen wahrnimmt. Weichen diese Bilder stark voneinander ab, kann das zu großen Enttäuschungen führen.
Wenn man sich der eigenen Bilder, Stereotype und Vorurteile und der anderen Kultur bewusst geworden ist, kann die Aneignung von Wissen dabei helfen, die Bilder zu reflektieren, zu korrigieren und angemessen damit umzugehen.
Autor Steffen Henkel