Die japanische Gesellschaft ist extrem stark hierarchisiert. Das gilt auch für Unternehmen. Dennoch werden Entscheidungen nicht vom obersten Chef alleine oder rein auf der höchsten Managementebene gefällt. Im Gegenteil. Japaner streben grundsätzlich nach Harmonie und Konsens – und zwar von unten nach oben. Dazu dient ein spezieller Entscheidungsfindungsprozess, der ringiseido genannt wird.
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Wenn ein japanischer Mitarbeiter ein größeres Vorhaben oder eine Projektidee entwickelt hat, fasst er diese zunächst schriftlich zusammen. Dieses Dokument heißt ringisho. Das ringisho gibt der Mitarbeiter zunächst an verantwortliche Manager derselben oder nächsthöheren hierarchischen Ebene zur Prüfung weiter. Je nach ihrer Einschätzung werden diese das Dokument mit einem persönlichen Zeichen (hanko) versehen: Bei Zustimmung wird das Zeichen richtig herum gesetzt, bei Ablehnung falschherum und bei einer Enthaltung kommt das hanko seitwärts auf das Papier. Kommentare und Änderungswünsche sind ebenfalls möglich. Auch werden sich die Kollegen einer Ebene zusammensetzen und strittige Fragen besprechen.
Haben schließlich alle Manager der gleichen Ebene das dargestellte Vorhaben generell für gut befunden, geht das ringisho gegebenenfalls zur Überarbeitung nochmal an den Mitarbeiter zurück. Nach diesem Prozess der Konsensfindung auf einer Ebene wird das Dokument dann an die nächsthöhere Ebene weitergereicht. Dort wiederholt sich der Prozess. Kann auf einer Ebene kein Konsens erreicht werden, wird das Vorhaben aufgegeben. In größeren Unternehmen wird der Ringisho-Prozess sogar über eine spezielle Software gesteuert.
Führung erhält nur freigegebene Vorschläge
Nur wenn alle Managementebenen das ringisho für gut befinden und nach oben weitergeben, erreicht es die Unternehmensführung, die dann eine finale Entscheidung trifft. Wird auch hier zugestimmt, kann das Vorhaben oder Projekt implementiert werden – und zwar ohne mit größeren Widerständen rechnen zu müssen, da bereits alle Manager der unteren Ebenen informiert und einverstanden sind.
Auch der Erfolg ist bereits vorprogrammiert, denn die erste Idee wurde über das Ringisho-System bereits aus ganz verschiedenen Perspektiven betrachtet, geprüft und angepasst. Die Verantwortung verteilt sich auf viele Köpfe, die sich gemeinsam für das Gelingen des Vorhabens einsetzen.
Konsensfindung auf informellen Kanälen
Neben dem offiziellen Ringisho-Prozess entlang der hierarchischen Ebenen eines Unternehmens spielt auch das nemawashi eine entscheidende Rolle. Nemawashi kann mit „die Einpflanzung vorbereiten“ übersetzt werden: In informellen Gesprächen werden Meinungen eingeholt, Input gegeben und Allianzen gebildet. Auch ein ringisho, das sich gerade im Umlauf befindet, wird über diese informellen Kanäle diskutiert und modifiziert. Die spätere Implementierung oder „Einpflanzung“ des Vorhabens im Unternehmen wird so von langer Hand an der Basis vorbereitet. Es wird sichergestellt, dass die Harmonie zu jedem Zeitpunkt aufrecht erhalten werden kann und die Neuerung unter den Mitarbeitern keine Unruhe verursacht.
Gut investierte Zeit
Das japanische Streben nach Harmonie und Konsens braucht viel Zeit. Westliche Manager, die auf eine positive Entscheidung ihrer japanischen Verhandlungs- oder Projektpartner hoffen, können oft nicht nachvollziehen, warum man sie so lange warten lässt. Die Zeit ist jedoch in den meisten Fällen gut investiert, denn die Umsetzung eines Projekts nach einem ausgiebigen Ringisho-Prozess erfolgt meist umso schneller, da bereits alle an Bord sind.
Autorin: Katrin Koll Prakoonwit – Bevor sie sich als Journalistin selbständig machte, schrieb Katrin Koll Prakoonwit Länderanalysen für die FAZ. Heute arbeitet sie für Publikationen verschiedener Beratungsunternehmen und Verlage. Frau Koll Prakoonwit lebt in Reading, Berkshire, bei London.
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