Der Faktor Zeit im Auslandsgeschäft

Die interkulturelle Forschung bietet einige interessante Erkenntnisse über die unterschiedlichen Zeitkonzepte in verschiedenen Kulturen weltweit. Der britische Wissenschaftler Edward T. Hall unterscheidet zwischen monochronen und polychronen Kulturen. Für monochron denkende Europäer und Amerikaner aus westlichen Kulturkreisen bedeutet Zeit die Dauer zwischen zwei Punkten. Man plant in die Zeit hinein und legt feste Schlusstermine fest. Fristen werden unbedingt eingehalten. Zeit wird dabei als Kontinuum verstanden, das in gleich große Einheiten aufgeteilt ist. Zeit lässt sich in „Scheiben“ schneiden. Zeit läuft ab, ist immer gleich und was weg ist, ist weg. Zeit bedeutet auch Entwicklung nach vorne. Die Toleranz gegenüber Störungen im Zeitablauf ist gering, denn nicht genutzte Zeit wird als Zeitverschwendung und damit als Verlust betrachtet. Zeit ist ein wertvolles Gut. „Time is money!“

In polychronen Kulturen (z.B. Asien, Südeuropa) werden die eigenen Handlungsabsichten über verschiedene Ebenen gezogen, von denen immer mehrere gleichzeitig verfolgt werden können. Es besteht eine hohe zeitliche Flexibilität. Unterbrechungen während einer Handlung werden toleriert. So lässt sich beispielsweise bei Einkäufen in italienischen Läden beobachten, wie die Verkäuferin hinter der Theke einfach mehrere Kunden gleichzeitig bedient. Wünscht der erste Kunde in der Schlange Mailänder Salami, wird sie im Laden fragen, ob noch ein anderer Kunde von dieser Salami möchte. Dann wird sie für mehrere Kunden hintereinander Salami in unterschiedlicher Menge aufschneiden. Eine deutsche Verkäuferin wäre mit diesem System hoffnungslos überfordert. Ein deutscher Kunde würde sich schlecht bedient fühlen, wenn er warten müsste, bis die Verkäuferin auch noch für alle Kunden, die nach ihm ins Geschäft gekommen sind, Salami aufgeschnitten hätte.

Die Zeit als Zyklus

In Asien und Afrika ist Zeit zudem zyklisch. Hier liegt der Fokus darauf, dass sich immer alles wiederholt und wiederkehrt: Tag und Nacht, die Jahreszeiten und auch das Leben in Form von Wiedergeburt. Der Umgang mit Zeit ist daher sehr viel lockerer. Denn es gilt die Einstellung: Morgen ist auch noch ein Tag. Vergangene Zeit wird weder als Verlust noch als Verschwendung erlebt.

Unterschiedlich fällt weltweit auch die Frage aus, ob man sich eher an der Gegenwart, der Zukunft oder der Vergangenheit orientiert. Während in vielen asiatischen Ländern die Vorfahren und die Vergangenheit eine große Rolle spielen, gehen Christen davon aus, dass sie nach dem Tod in den Himmel kommen und dort belohnt werden. Die Inder wiederum sind bestrebt, durch gute Tagen ihr Karma zu erhöhen, damit sie in ein besseres Leben hineingeboren werden. Diese unterschiedlichen religiösen Prägungen zeichnen sich auch im Verhältnis zur Zeit ab. So sind Deutsche sehr viel zukunftsorientierter als viele Südostasiaten.

Pünktlichkeit

Pünktlichkeit hat in verschiedenen Ländern eine ganz anderen Stellenwert als in Deutschland. Während es bei uns als Geringschätzung, unhöflich und unverzeihlich interpretiert werden würde, wenn ein Geschäftspartner zu einem Termin unentschuldigt drei Stunden zu spät kommt, gilt in Indonesien beispielsweise die „jam karet“, die „Gummizeit“. Verspätet sich der Geschäftspartner, weil er zufällig auf der Straße seinen Bruder getroffen hat, wird dem ein höherer Stellenwert beigemessen als dem Zeitablauf. Zu seinem Geschäftspartner kann er immer noch gehen, seinen Bruder trifft er jetzt in diesem Moment durch einen glücklichen Zufall. Die Wertschätzung wird anders ausgelegt, mit Unhöflichkeit hat das nichts zu tun. Hauptsache jeder hat seine Chancen des Tages optimal genutzt, keiner wird in ein Korsett gezwängt, es bleibt viel Spielraum für Unvorhergesehenes, damit entsteht weniger Stress. Zeit und Pünktlichkeit werden den Ereignissen des Tages untergeordnet. Der deutsche Geschäftspartner mit seiner monochronen Zeitstruktur blickt hingegen auf den durcheinander geworfenen Tagesplan und empfindet dies als unzumutbare Belastung.

Umgekehrt fände es ein Asiate, Russe oder auch Südeuropäer als äußerst unhöflich, wenn er nach Deutschland reist, sein Flug vier Stunden Verspätung hat, er erschöpft im Unternehmen ankommt und von den deutschen Geschäftspartnern links liegen gelassen wird, weil diese jetzt leider einen anderen Termin im Kalender stehen haben. Der Besucher aus einer polychronen Zeitstruktur empfindet dies als Geringschätzung seiner Person, denn jetzt ist er da. Die Gelegenheit, sich nun zu treffen, ist doch wichtiger als das was auf der Agenda steht.

Im Auslandsgeschäft in Kulturkreisen mit polychroner Zeitstruktur sollten Deutsche versuchen, von ihren detailgenauen Zeitplänen etwas Abstand zu nehmen, um auf die Flexibilität und Spontaneität ihrer Projektpartner zu vertrauen. Denn viele Wege führen nach Rom!

Autorin: Katrin Koll Prakoonwit – Bevor sie sich als Journalistin selbständig machte, schrieb Katrin Koll Prakoonwit Länderanalysen für die FAZ. Heute arbeitet sie für Publikationen verschiedener Beratungsunternehmen und Verlage. Frau Koll Prakoonwit lebt in Reading, Berkshire, bei London.

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