Nach welchen Spielregeln laufen Verhandlungen in China, Russland oder Indien ab? Welche Verhaltensweisen und Erwartungen der Geschäftspartner sind wahrscheinlich? Wann ist es Zeit, endlich zum Vertragsabschluss zu kommen? Welchen Stellenwert haben erzielte Einigungen? Ein erfolgreicher Verhandlungsführer muss diese Faktoren auch im Ausland sicher bewerten können – und gleichzeitig die nötige Flexibilität mitbringen, auch jenseits der gewohnten Pfade sicher aufzutreten.
Während Deutsche oder Amerikaner Verhandlungen in der Regel abschlussorientiert und mit starkem Fokus auf die Sachebene führen, steht in vielen südeuropäischen, asiatischen und lateinamerikanischen Ländern der Welt die Beziehungsebene im Vordergrund. Geschäfte werden mit Freunden gemacht, nicht mit Fremden. Weitere für Deutsche ungewohnte Faktoren sind eine indirekte Kommunikation und ein dehnbarer Zeitfaktor.
Auch wenn jeder Verhandlungspartner individuell zu betrachten ist, das Wissen um die kulturellen Besonderheiten einer Geschäftskultur erleichtert jeden Verhandlungseinstieg.
Verhandeln in Indien
In Indien ist Verhandeln ein Volkssport: Wie viel mehr kann erreicht werden, wenn einfach noch etwas länger verhandelt wird? Auch Zeitdruck ist ein gern genutztes Mittel. Oft wird so lange über Nebensächlichkeiten diskutiert, bis der deutsche Gesprächspartner dringend den Rückflug antreten muss. Dies erfolgt in der Absicht, in letzter Minute Zugeständnisse zu erringen.
Teil der indischen Verhandlungsstrategie ist es außerdem immer, im ersten Schritt unmögliche, völlig überzogene Forderungen zu stellen. Es wird geblufft und hoch gepokert. Danach wird hart verhandelt. Jedes Zugeständnis muss errungen sein, um für den indischen Verhandlungspartner wertvoll zu sein.
Verhandeln in arabischen Ländern
Die Einstiegsverhandlungen fallen in arabischen Ländern sehr umfassend aus. Denn sie legen den Grundstein für die gesamte langfristig angelegte Geschäftsverbindung. Bei nachfolgenden Projekten und Kooperationen wird dann teilweise gar nicht mehr verhandelt und die Dinge laufen fast von selbst.
Bei der Verhandlung von Preisen und Konditionen gehört Feilschen einfach zum guten Ton. Während Deutsche glauben, wenn ihre Preise fair kalkuliert seien, könne die arabische Seite keine allzu großen Rabatte mehr fordern, messen Araber ihren Geschäftserfolg einzig daran, wie weit sie ihren Gegenüber von seinem ursprünglichen Preis weggebracht haben. Es ist daher ein Trugschluss, dass ein niedrigerer Ausgangspreis zu geringerem Feilschen führt!
Verhandeln in Japan
Japaner denken langfristig. Neben einem indirekten, zurückhaltenden Kommunikationsstil hat die Pflege der Beziehungsebene in der japanischen Geschäftskultur oberste Priorität. Der Aufbau einer tragfähigen Beziehung ist unerlässlich und dauert nicht selten mehrere Jahre. Dabei werden viele, viele Fragen gestellt.
Deutsche Geschäftsleute warten in einer Verhandlung mit Japanern vergeblich auf eine intensive Diskussion mit anschließender Entscheidung. Stattdessen tüfteln Japaner bereits im Vorfeld alles sehr detailliert aus. In der Verhandlung selbst wird dann präsentiert, nicht debattiert. Sie hat fast einen zerimoniellen Charakter. Werden neue Vorschläge in den Raum gestellt, zieht sich das japanische Verhandlungsteam wieder für einen längeren Zeitraum zurück und diskutiert die neuen Sachverhalte hinter verschlossenen Türen. Das kostet viel Zeit. Auch deshalb, weil immer wieder aufs Neue der Konsens aller Ebenen gesucht wird. Erst dann werden die deutschen Geschäftspartner zurück an den Verhandlungstisch gebeten.
Verhandeln in China
Treffen Chinesen und Deutsche in Verhandlungen aufeinander, behaupten beide Seiten, der jeweils andere käme nie zum Punkt. Die Deutschen vermissen die Hauptaussagen am Beginn der Ausführungen, stattdessen hören sie nur einzelne Punkte, die in keinem Zusammenhang zu stehen scheinen. Präsentiert der Chinese dann zum Schluss seine Kernaussage, hat der Deutsche meist schon abgeschaltet. Teilt der Deutsche hingegen zu Beginn seine wichtigsten Punkte mit, hält der Chinese dies noch für die Aufwärmphase, denn er sucht die Quintessenz natürlich am Ende des Vortrags. Dann bringt der Deutsche jedoch nur noch die letzten irrelevanteren Argumente vor.
Verhandeln in den USA
Amerikaner sind abschlussorientiert. Sie schätzen an einem neuen Geschäftskontakt vor allem die gute Gelgenheit, die sich für beide Seiten ergibt: „Let’s make a deal!“ In Verhandlungen möchten sie möglichst schnell zu einem Ergebnis – und zu einem kurzfristigen Profit kommen. Schnelles Wachstum wird als wichtiger erachtet als eine langfristige Geschäftsbeziehung. Ist der kurzfristige Deal eine sichere Sache, werden auch gerne Fünf-Jahres-Pläne unterzeichnet.
Verhandlungsführer müssen die Fähigkeit entwickeln, kulturelle Unterschiede zu identifizieren, richtig zu interpretieren und flexibel darauf zu reagieren. Eine intensive Vorbereitung auf die kulturellen Faktoren einer bevorstehenden Verhandlung sind daher genauso essentiell wie auf die inhaltlichen.
Verhandeln in Bulgarien
Da Bulgaren Konflikten tendenziell eher aus dem Weg gehen, zeigen sie in Verhandlungen eine hohe Kompromissfähigkeit. Auf eine faire und konstruktive Art behalten sie die Interessen beider Verhandlungspartner im Auge, so dass letztendlich ein solides Ergebnis erzielt werden kann. Generell benötigen Verhandlungen mit Bulgaren viel Zeit.
Größte Ursache für Missverständnisse bilden indirekt ausgesprochene Forderungen, die deutsche Manager häufig einfach nicht wahrnehmen. Statt dann in deutscher Weise einfach klarer und direkter auf den fraglichen Punkt zuzusteuern, ziehen Bulgaren es vor, eine weitere Verhandlungsschleife zu ziehen. Schließlich bringen sie ihre Forderungen geschickt zurück auf den Verhandlungstisch. „Warum denn nicht gleich“, mag sich da die deutsche Seite fragen? Aus bulgarischer Sicht war diese Extrarunde jedoch nur notwendig, weil die Deutschen sie einfach ignoriert haben.
Verhandeln in Tschechien
Deutsche Manager warten in Verhandlungen mit Tschechen oft vergeblich auf klare Aussagen. Stattdessen streuen ihre tschechischen Partner alle Informationen lose in den Raum. Denn sie sind es gewohnt, nach und nach alle gegebenen Einzelinformationen aufzupicken und zu einem stimmigen Gesamtbild zusammenzufügen. Ihren deutschen Geschäftspartnern fehlt hingegen der „Durchblick“, um sich das nötige Gesamtbild selbst zu erschließen. Dieser kulturelle Unterschied im Kommunikationsstil kann deutschen Geschäftsleuten in Tschechien Schwierigkeiten bereiten. Sie sind einfach nicht ausreichend darin geübt, alles aufzunehmen, was um sie herum geschieht.
Verhandeln in Rumänien
Rumänen sind harte Verhandlungsführer mit hoher Risikobereitschaft. Sie sind sehr darin bestrebt, aus Verhandlungen mit deutschen Geschäftspartnern den bestmöglichen Vorteil zu ziehen. Deutsche Manager sind daher gut beraten, in langwierigen Verhandlungen ihre Position eisern zu verteidigen. Dann werden sie erleben, wie aus ihren scheinbar unbesiegbaren Gegnern plötzlich äußerst kooperative und freundliche Partner werden, denen kein Weg zu weit ist, um ein Projekt zum Ziel zu führen.
Verhandeln in Russland
Kooperationen sind in Russland erst möglich, wenn der gesamte Kontext eines geplanten Geschäftes bekannt ist. Aus russischer Sicht gilt es dabei, den Sozialstatus des künftigen Partners sowie die Ernsthaftigkeit seines Vorhabens genau zu durchleuchten. Statt am Verhandlungstisch finden sich deutsche Manager daher häufig beim gemeinsamen Essen wieder. Denn der deutsche Geschäftspartner soll sich in einer informellen Atmosphäre entspannen. Erst muss die persönliche Ebene geschaffen sein. Dann können Verträge geschlossen werden.
Autorin: Katrin Koll Prakoonwit – Bevor sie sich als Journalistin selbständig machte, schrieb Katrin Koll Prakoonwit Länderanalysen für die FAZ. Heute arbeitet sie für Publikationen verschiedener Beratungsunternehmen und Verlage. Frau Koll Prakoonwit lebt in Reading, Berkshire, bei London.