Kulturelle Unterschiede Indien

Kulturelle Unterschiede Indien

Betreten Sie das erste Mal ein indisches Unternehmen, fällt Ihnen wahrscheinlich sofort ins Auge, wie viele Mitarbeiter jede einzelne Abteilung umfasst. Häufig tummeln sich gleich mehrere Personen an einem Schreibtisch oder teilen sich einen PC-Arbeitsplatz in einem Großraumbüro. Das ist nicht auf die Überbevölkerung zurückzuführen, sondern auf die stark hierarchische Struktur in indischen Unternehmen, die sehr viel feiner differenziert ist, als wir uns auf den ersten Blick vorstellen können. So üben viele verschiedene Mitarbeiter in unterschiedlichsten hierarchischen Positionen einzelne Teilaufgaben aus. Deutsche in indischen Unternehmen tun sich daher allgemein schwer, bestehende Über- und Unterordnungen richtig einzuschätzen und entsprechend darauf zu reagieren.

Viele kleine Rädchen

In Deutschland erhalten Mitarbeiter in der Regel einen gewissen Handlungs- und Entscheidungsspielraum, innerhalb dessen sie ihre Aufgaben erfüllen und möglicherweise auftauchende Probleme eigenständig lösen sollen. Indische Mitarbeiter führen ihre Tätigkeiten ebenfalls relativ selbstständig aus, bewegen sich dabei jedoch in einem sehr viel enger gefassten Rahmen. Sie übernehmen nur wenige genau definierte Aufgaben und vermeiden es tunlichst, ihre Kompetenzen zu überschreiten. Zugleich erwarten sie, dass ihr Vorgesetzter ihre Arbeitsergebnisse regelmäßig kontrolliert und die einzelnen Schritte steuert. Jeder sieht sich als kleines Rädchen im Getriebe – nicht mehr und nicht weniger. Die Verantwortung für das reibungslose Zusammenspiel wird einzig der Führungskraft zugesprochen.

In Kooperationen mit indischen Partnerunternehmen sind daher immer diverse Abstimmungsschleifen zwischen einzelnen Abteilungen und der höchsten Ebene zu berücksichtigen. Dabei muss im direkten Umgang mit indischen Mitarbeitern sehr genau darauf geachtet werden, wer für welche Fragestellung zuständig ist.


Knigge: Umgangsformen Indien

  • Die linke Hand gilt als unrein. Visitenkarten nur mit rechts halten!
  • Kopfschütteln bedeutet in Indien Zustimmung!
  • Respektieren Sie das indische Kastensystem. Zeigen Sie kein Mitleid mit Armen oder Unreinen.
  • Zur Begrüßung die rechte und linke Hand vor der Brust zusammenlegen und sich leicht verneigen.

Verhaltensregel Nr. 1: Ein freundlicher Umgang

Der Umgangston ist in indischen Unternehmen generell höflich. Es wird viel gelobt. Komplimente sorgen für eine positive Stimmung. Oberstes Ziel der Kommunikation ist immer die Schaffung oder Beibehaltung einer guten Beziehungsebene. Darauf werden alle in Indien geltenden Verhaltensregeln ausgerichtet. Daneben wird die Zusammenarbeit nach wie vor von Respekt und Achtung gegenüber älteren Personen und hierarchisch Höherstehenden bestimmt.

Obwohl Gespräche zwischen Indern auf Deutsche oftmals lautstark und gestenreich wirken, haben sie nur äußerst selten konfliktreiche Themen zum Inhalt. Das Ausdiskutieren oder das direkte Ansprechen von Problemen ist hier nicht üblich. Die Kommunikation bleibt meist subtil und indirekt. Inder achten stets darauf, weder selbst Gesicht zu verlieren noch den Gesprächspartner zum Gesichtsverlust zu veranlassen. Schwelende Konflikte werden daher geschickt umkreist. Der jeweils andere muss also sehr gut zuhören, wenn er verstehen möchte, welcher Handlungsbedarf besteht. Nachfragen bei unklaren Sachverhalten kann hingegen problematisch sein. Denn aus indischer Sicht würde damit deutlich, dass entweder der Gesprächspartner schlecht erklärt hat oder der Zuhörer alles nicht richtig verstanden hat. Diese unangenehme Situation wird möglichst vermieden.

Harsche Kritik kann sehr schnell dazu führen, dass eine Geschäftsbeziehung beendet wird oder auch ein Verantwortlicher umgehend kündigt und noch am selben Tag das Unternehmen verlässt. Einmal Gesagtes lässt sich nur schwer wieder gut machen, denn der Gesichtsverlust vor den anderen ist für den Betroffenen zu groß. Andererseits gilt in Indien wiederum, je stabiler die persönliche Ebene aufgebaut ist, desto deutlicher können während der gemeinsamen Projektarbeit Kritikpunkte vorgebracht werden. Es ist also alles auch eine Frage der Zeit. Besteht jedoch (noch) keine tragfähige persönliche Beziehung, sollte man für kritische Themen immer eine Vertrauensperson als Vermittler hinzuziehen.

Informationsfluss aktiv steuern

Informationen sind in Indien eine Holschuld. Es ist deshalb unbedingt empfehlenswert, den Projektfortschritt durch offene Fragen und deutlich gezeigtes Interesse eng zu verfolgen. Der Grundsatz „no news is good news“ gilt in Indien definitiv nicht! Im Gegenteil! Oft heißt es, „no problem“, wenn eigentlich alles eher schwierig ist. Während in Deutschland die Informationsvermittlung kumuliert verläuft, fällt sie in Indien eher fragmentiert aus. Informationen werden scheibchenweise und nur auf Nachfrage übermittelt, das Wichtigste kommt häufig zum Schluss. Hilfreich ist allerdings, dass das, was wichtig ist, dann meist mehrmals wiederholt wird.

Schriftlich oder mündlich?

Die mündliche Vereinbarung gilt im Zweifelsfall mehr als das schriftliche Protokoll. Inder greifen gerne kurzerhand zum Telefon und unterstreichen in einem persönlichen Gespräch die Wichtigkeit ihres Anliegens, jedoch ohne diesen Umstand direkt zur Sprache zu bringen. Auch hier gilt es, aufgrund der indirekten Kommunikation genau zuzuhören, was eigentlich der Anlass eines Anrufes ist. E-Mails mit zahlreichen Empfängern in CC finden meist kaum Beachtung.

Krisenkommunikation auf der Beziehungsebene

Treten bei einem Projekt Probleme auf, werden diese in Deutschland klar angesprochen. Man besteht auf einer schonungslosen, lückenlosen Aufklärung, damit Ähnliches in Zukunft vermieden werden kann. In Indien wiegt hingegen die Beziehungsebene weitaus mehr als die Sache selbst. Inder verhalten sich daher nach außen hin, als gäbe es gar kein Problem. Sie suchen eher stillschweigend nach einer Lösung, ohne den anderen zu „belasten“. Die aus deutscher Sicht so notwendige Aufklärung wird in Indien vermieden oder nach hinten verschoben.

Generell werden in Indien Probleme rein anhand von bestehenden Fakten analysiert. Anschließend werden Lösungen gesucht und implementiert. Die Frage nach dem „Warum“ erfolgt erst sehr viel später, wenn überhaupt. Deutsche hingegen führen gerne zunächst eine Grundsatzdiskussion, um das „Warum“ zu identifizieren, ehe sie sich der Suche nach einer geeigneten Lösung zuwenden.

Verhandlungen mit indischen Geschäftspartnern

Verhandlungen mit indischen Geschäftspartnern finden häufig nicht in Büroräumen, sondern auf neutralem Boden, z. B. in einem 5-Sterne-Hotel mit allen denkbaren Annehmlichkeiten statt. Bei besonders üppig aufgefahrenen Speisen spielt häufig auch eine Rolle, dass sich Inder ihren westlichen Geschäftspartnern gegenüber selbstbewusst behaupten und vom Image „armes Entwicklungsland“ distanzieren möchte. Loben Sie daher unbedingt die dargebotene Gastfreundschaft und begegnen Sie Ihren indischen Partnern auf Augenhöhe!

Insbesondere bei ersten Treffen wird meist eine Fülle von Themen angeschnitten, die alle nichts mit dem eigentlichen Verhandlungsgegenstand zu tun haben. Denn in der indischen Businesskultur macht man Geschäfte nur mit Freunden, das heißt, eine Intensivierung der Kennenlernphase dient einer guten, tragfähigen Vertrauensbasis, die mehr zählt als jeder Vertrag. Daher funktionieren in Indien als erste Türöffner für eine Geschäftsanbahnung häufig auch nur gute Referenzen oder die Vermittlung durch einen gemeinsamen Bekannten.

Indische Geschäftsleute machen ihre rational denkenden deutschen Verhandlungspartner gerne glauben, dass alles möglich ist. Es werden die positivsten Szenarien der bevorstehenden Zusammenarbeit kreiert, die von der deutschen Seite keinesfalls für bare Münze genommen werden dürfen. Wohlwollend betrachtet, kann man Indern dieses Gebaren als einzigartige Geschäftstüchtigkeit auslegen.

Diese macht sich dann auch meist in den Preisverhandlungen bemerkbar: Am Anfang einer Verhandlung klaffen die Preisvorstellungen indischer und deutscher Partner meist eklatant auseinander und man wird sich nur nach und nach einander annähern. In der indischen Geschäftskultur sollte man sich also immer auf langwierige Preisverhandlungen einstellen, die jedoch eher einen rituellen Charakter haben. Feilschen gehört hier zum guten Ton. Je gekonnter deutsche Manager diese Strategie ebenfalls einsetzen, umso mehr werden sie von ihren indischen Verhandlungspartnern geschätzt.

Faktor Zeit

Deutsche Geschäftsleute in Indien sollten jederzeit bereit sein, Verhandlungen auch ohne Ergebnis zu verlassen und zu einem anderen Zeitpunkt fortzuführen. Das ist zwar eine unpopuläre Entscheidung, kommt aber der indischen Devise entgegen: „Mit etwas mehr Zeit umso mehr erreichen“. Zudem wird der Zeitdruck, unter dem deutsche Manager im Business häufig stehen, von erfahrenen indischen Verhandlern gerne als Druckmittel eingesetzt. Gleichzeitig gehen Inder generell mit Verzögerungen entspannt um. Die Uhren ticken hier einfach langsamer, sodass „zähe“ Verhandlungen nicht unbedingt als negativ wahrgenommen werden. Man wird sein Ziel schon irgendwann erreichen.

In einem so facettenreichen Land wie Indien wird es Ihnen wahrscheinlich nie ganz gelingen, die vorherrschenden Denk- und Handlungsmustern genau zu verstehen. Vieles müssen Sie vielleicht einfach hinnehmen und damit umgehen lernen. Aber mit einer hohen Aufmerksamkeit, einer intensiven indirekten Kommunikation und einer gebührenden Wertschätzung zollen Sie der großen indischen Offenheit und Arbeitsfreude einen angemessenen Tribut.

Katrin Koll Prakoonwit, Redaktion

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