Wofür ich die Briten am meisten bewundere, ist ihre Fähigkeit, jeden mit Leichtigkeit in den Small Talk zu ziehen. Dies gelingt, indem am Gesprächsanfang nach potenziellen Gemeinsamkeiten gesucht und das weitere Gespräch darauf aufgebaut wird. Uns Deutschen liegt das nicht besonders. Umso mehr macht es Sinn, diese britische Gabe genau zu studieren.
Ich lebe seit über acht Jahren in England. Vor ein paar Tagen war ich auf einer christmas party – in diesem Fall ein kleiner Stehempfang – bei Philippa, einer älteren Dame aus der Nachbarschaft. Dort hatte ich mal wieder die Gelegenheit, genau zu verfolgen, wie potenzielle Gemeinsamkeiten ins Gespräch führen. Und manchmal wird dazu auch alles ein wenig zurechtgebogen. Denn es geht beim Small Talk nicht wirklich um die Inhalte des Gesprächs, sondern einfach darum, eine positive Atmosphäre zu schaffen. Ist dies erreicht, kann man sich etwas ernsthafter unterhalten.
Let me introduce you to…
Philippa: “Oh Katrin, darling, there you are. Come over here, let me introduce you to Elise. Elise is from Germany, too. She is from Strasbourg.“
Philippa lächelt mich erwartungsvoll an, ebenso wie Elise, die direkt neben ihr steht.
Mein Verstand sagt mir sofort: Straßburg ist in Frankreich. Gleichzeitig denke ich aber auch: Jetzt nicht gleich als besserwisserische Deutsche daherkommen. Ich entscheide mich für ein diplomatisches: „Oh, how wonderful.“
Das ist Philippa wohl noch nicht genug. Also schiebt sie nach: “You could speak German together! Isn’t that great? Two Germans at my little christmas party.”
Elise lächelt und sagt: „Mais oui.“
Mein Verstand meldet: Das war Französisch, nicht Deutsch. Ich lasse es auf sich beruhen und versuche, das Gespräch in sicherere Gefilde zu lenken: „What brings you to England, Elise?“
Philippa ist offensichtlich mit mir zufrieden. Sie sagt: “I’ll leave you two to share some memories.” Dann schreitet sie davon, um weitere Gäste zu begrüßen.
Konversation mit Elise
Ich unterhalte mich weiter mit Elise, auch wenn ich Zweifel habe, dass wir gemeinsame Erinnerungen ausgraben werden. Es stellt sich heraus, dass sie vor rund zehn Jahren ein paar Monate in Deutschland gelebt hat und – auch bedingt durch ihr Aufwachsen in der Nähe von Straßburg – Elsässisch und etwas (Hoch)Deutsch spricht.
Wir bleiben trotzdem neutral beim Englischen, das scheint ihr angenehmer zu sein. Ich deute dezent an, dass Philippa da wohl etwas verwechselt hat. Elise lacht nur und sagt: “I know, it doesn’t matter really. Does it?”
Nein, eigentlich nicht. Solange der französische Nationalstolz das aushält, soll es mir recht sein.
Reden ist Silber, Schweigen ist Gold
Später – ich unterhalte mich mit ein paar weiteren Nachbarn – stehe ich mit dem Rücken zu Philippa und Elise. Ich höre Philippa rufen: “Françoise, do come here, Love. Let me introduce you to Elise. She is French as well! Isn’t that wonderful? Two French ladies at my party.”
Sie hat also Elises dezenten Hinweis “Mais oui” (statt deutsch: „Aber ja“) verstanden oder weiß wahrscheinlich ohnehin selbst, dass Straßburg in Frankreich liegt. Es wäre wirklich unnötig besserwisserisch von mir gewesen, sie darauf hinzuweisen. Hauptsache, wir haben uns gut unterhalten. Und das haben wir.
Autorin: Katrin Koll Prakoonwit – Bevor sie sich als Journalistin selbständig machte, schrieb Katrin Koll Prakoonwit Länderanalysen für die FAZ. Heute arbeitet sie für Publikationen verschiedener Beratungsunternehmen und Verlage. Frau Koll Prakoonwit lebt in Reading, Berkshire, bei London.
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