Die Kunst richtig Wodka zu trinken

Der Inhaber eines Unternehmens, Herr Schmidt, war mit dem Ablauf des Geschäftsessens sehr zufrieden. Der Vertragabschluss war so gut wie perfekt, seine neuen Partner amüsierten sich offensichtlich köstlich, alles war bestens. Er hätte vielleicht nicht so viel trinken sollen, er war nicht mehr Herr seiner Zunge und seiner Beine, aber es war einfach unmöglich „njet“ zu sagen. Umso größer war die Enttäuschung von Herrn Schmidt, als am nächsten Tag die Russen ihre Taktik völlig änderten und sich auf einmal weigerten, den Vertrag zu unterschreiben. Der Traum von der „Eroberung“ des riesengroßen russischen Marktes war geplatzt. „Diese Russen“, beschwerte sich später der unglückliche Geschäftsmann überall, „ist doch bekannt, dass sie nur saufen können! Nie wieder Geschäfte mit Russland!“ Seine Zuhörer nickten verständnisvoll. Jeder hatte eine ähnliche Geschichte auf Lager, die bestätigte, dass man verrückt sein muss, um mit Russen eine geschäftliche Beziehung einzugehen. Denn sie seien unzuverlässig und allesamt sowieso bei der Mafia.

Dabei hätte der große Deal von Herrn Schmidt ohne weiteres in Erfüllung gehen können, wenn er sich auf seine neuen Partner kulturell eingestellt hätte. Denn sein Wissen über „Mütterchen Russland“ beschränkte sich auf jahrhundertealte Klischees, die er allerdings für bare Münze hielt. Und so war ihm gar nicht klar, dass er sich aus russischer Sicht am geschilderten Abend sehr unvorteilhaft benommen (war nicht trinkfest, konnte keinen einzigen schönen Trinkspruch aussprechen usw.) und seine Autorität und überhaupt seine Ernsthaftigkeit in Frage gestellt hatte. Für sie war er als zuverlässiger Partner für immer gestorben.


Mit einem E-Learning-Kurs schnell zum Erfolg!

Erster Einstieg, selbständige Vertiefung oder zusätzliche Details – Sie wählen, wo und wann sie auf relevante Informationen zugreifen. Wir bieten Onlinekurse zu den unterschiedlichsten interkulturellen Themen – auch wer schon viel Erfahrung hat, findet immer etwas Neues!


Stereotype Vorstellungen über Russland

Nicht nur der Held unserer Geschichte, sondern viele andere deutsche Geschäftsleute haben eher verschwommene und, was noch schlimmer ist, mit Stereotypen behaftete Vorstellungen über Russen und Russland. So kommt der bekannte Trinkspruch „Na zdorowje!“ z. B., den man hierzulande als Inbegriff des russischen Wodkawahns zu verstehen weiß, in Wirklichkeit aus dem Polnischen. Und der Brauch, die Gläser hinter sich zu schmeißen, hat mit der russischen Realität genauso wenig zu tun wie freilaufende Bären auf Moskauer Straßen oder die angeblich eisige Kälte auch im Sommer. Der Leiter der Repräsentanz eines deutschen Konzerns beschwerte sich einmal bei mir, dass ihn auch nach einem halben Jahr seiner Arbeit in Moskau noch keiner zum angeblich obligatorischen Gang in die Banja (russische Sauna) eingeladen habe. „Ich dachte, das gehört hier zum Business“, wunderte er sich.

Nach dem Fall der Mauer sind inzwischen mehr als 20 Jahre vergangen. Die heutige Welt der unbegrenzten Kommunikation und des Internets ist transparent geworden, aber die alten Klischees und Vorurteile wollen und wollen nicht verschwinden. Sie scheinen eine enorme Kraft zu haben und sind offenbar sogar imstande, Einfluss auf die Wahrnehmung der Realität zu nehmen. Ihre Gefährlichkeit besteht darin, dass sie so bequem sind. Man nimmt nur etwas Etikette und denkt, man hat den anderen verstanden und erklärt: „Deutsche sind langweilig“, „Russen saufen Wodka“, „Franzosen sind charmant“ usw. Persönliche Begegnungen scheinen die Stereotypen auch nicht entkräften zu können. Die russischen Geschäftspartner von unserem unseligen Herrn Schmidt z. B. hielten ihn auch nach dem von ihm spendierten üppigen Essen für einen Geizkragen. „Der kann doch nicht mal richtig feiern! Hat keinen Mumm! Typisch deutsch“ lautete ihre Bilanz. Beide Seiten haben sich mit den besten Absichten getroffen und sind beinahe als Feinde auseinander gegangen, und jeder fühlte sich noch fester in seinen Vorurteilen bestätigt.

Kulturelle Unterschiede zwischen Deutschland und Russland

Das A und O einer guten Geschäftsbeziehung ist eine geglückte Kommunikation. Und die hängt nicht nur von einer gemeinsamen Sprache ab. Mindestens genauso wichtig sind die nonverbale Verständigung und das Wissen über kulturelle Gepflogenheiten. Die Kommunikation mit ausländischen Mitarbeitern verläuft oft nur mühsam, denn ihre Werte und Normen, ihre Vorstellungen über Zeit, Distanz, Nähe, Hierarchie, ihre Verhaltensweisen und Umgangsformen unterscheiden sich von den deutschen.

So fällt es z. B. dem russischen Personal generell schwer, den kollegialen Führungsstil ihrer deutschen Chefs zu akzeptieren, weil sie aus einer autoritären Gesellschaft kommen, in der das Motto galt „bist du der Chef – bin ich der Dumme, bin ich der Chef – bist du der Dumme“. Und schon sind Irritationen vorprogrammiert. „Man verlangt von mir, dass ich Initiative zeige, mit meinem Chef diskutiere. Wie soll das gehen, wenn es bei uns immer hieß „Eigeninitiative ist strafbar?“ Außerdem, sagt unser deutscher Vorgesetzter nie klar und deutlich, was er von mir erwartet“, berichtet Tatjana, Mitarbeiterin einer deutschen Vertretung in Moskau. Und ihr Chef weiß höchstwahrscheinlich auch nicht, dass er Tatjana mit seinem Führungsstil verunsichert.

Und so wird klar, dass, obwohl Globalisierung zu einem Modewort geworden ist und Unternehmen in der heutigen Welt verwischter Grenzen ganz neuen Anforderungen gerecht werden müssen, dieses interkulturelle Wissen leider oft auf der Strecke bleibt.

Autorin: Dr. Daria Boll-Palievskaya


Haben Ihnen diese Informationen geholfen?

Es gibt noch vieles mehr zu berichten und zu lernen. Entscheidend ist natürlich – aus welchem Land Sie kommen? Arbeiten Sie in einem internationalen Team oder planen Sie demnächst eine Entsendung ins Ausland?

Rufen Sie uns an, oder schreiben eine E-Mail. In einem kurzen, unverbindlichen Termin klären wir, ob Sie von unserem weltweiten Expertennetzwerk profitieren können. →


+49 (0)711 722 468 44 Fallstudien
Cookie Consent mit Real Cookie Banner