Den russischen Business-Talk richtig verstehen

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Der russische Kommunikationsstil gilt im Unterschied zum deutschen als beziehungsorientiert. Die persönliche Befindlichkeit des Gesprächspartners steht vor der Sachinformation. Viele Russen kommunizieren deshalb eher diplomatisch. Nicht alles wird klar und deutlich formuliert. Erwarten Sie keinen deutschen Klartext. Solch eine direkte, rationale und sachorientierte Kommunikation wirkt auf Russen konfrontativ, zuweilen verletzend oder arrogant.

Alles eine Frage der Interpretation?

In Russland muss man zwischen den Zeilen lesen und den Kontext kennen, sich selbst um ergänzende Informationen kümmern. Diese werden oft auf informellen Ebenen, gewissermaßen nebenbei ausgetauscht. Solch eine indirekte und sehr feinfühlige Kommunikation bietet viel Interpretationsspielraum.

Umgekehrt neigen Russen dazu, in die Aussagen ihrer deutschsprachigen Gesprächspartner einen verborgenen Sinn zu deuten. Hier liegt ein Quell häufiger Missverständnisse. ›Habe ich alles richtig verstanden und bin ich richtig verstanden worden?‹ ist eine wichtige Frage für Russland- Neueinsteiger. Es empfiehlt sich, explizit zum Nachfragen aufzufordern, wenn etwas nicht klar ist oder einer näheren Erklärung bedarf. Russen fragen nicht von allein nach, daher wird die Aufforderung dazu als nützliche Hilfestellung dienen.

Nur jüngere Geschäftsleute mit Auslandserfahrung und guten Englischkenntnissen haben sich häufig schon an den sachbezogenen, direkten Kommunikationsstil gewöhnt.

Unterschiedliche Kommunikation beruht auf unterschiedlichem Denken

Hinter unterschiedlichen Kommunikationsweisen stehen auch unterschiedliche Denk- und Organisationsweisen. Deutschsprachige Unternehmer möchten alles exakt und im Detail kalkulieren. Sie denken und kommunizieren mehr in Zahlen und Fakten. Russische Manager planen mehr konzeptionell und äußern sich in allgemeinen Worten: ›Die Marktchancen sind riesig. Sie können große Mengen absetzen.‹ Auch das russische Buchhaltungssystem funktioniert entsprechend. Es gibt hohe Gemeinkosten und nur wenige konkret aufgesplitterte Kostenstellen.


Vom Small Talk auf Umwegen zum Großauftrag

Generell sind Russen sehr kommunikativ und können völlig unbekannten Menschen ihre Lebensgeschichte und Lebensphilosophie anvertrauen. Gelegenheit dazu gibt es genug, z. B. auf langen Flügen und Bahnfahrten. Hier sind schon viele geschäftliche Kontakte entstanden. Wo hat Anna Karenina ihren späteren Liebhaber Wronskij kennengelernt? Im Zug.

Small Talk wird in Russland zum ›Big Talk‹. Das unverbindliche Gespräch, das aber dennoch inhaltsreich und unterhaltsam ist, wird aus der Sicht deutschsprachiger Newcomer zum ungewohnten Zeitfresser. Hier sollten Sie sich unbedingt an die Gepflogenheiten in einer Beziehungskultur anpassen: Small Talk ist ein wichtiger Baustein für eine tragfähige Geschäftspartnerschaft. Man möchte den Partner auch privat kennenlernen und somit die Basis der Beziehung prüfen. Ansonsten kann man ihm auch in geschäftlichen Dingen nicht vertrauen.

Praktische Probleme aus dem Weg ›reden‹

Auch im russischen Alltag öffnet das persönliche Gespräch die Herzen und weckt die Hilfsbereitschaft Ihrer Mitmenschen. Viele praktische Probleme lassen sich so aus dem Weg räumen. ›Die Sprache bringt einen bis nach Kiew‹, lautet ein bekanntes russisches Sprichwort – also bis ins Zentrum des ersten ostslawischen Reiches, der Kiewer Rus‘ (ab 9. Jh.). Bei meiner letzten Russlandreise reichte die Wartezeit am Check-in-Schalter aus, um durch etwas Small Talk mit einem russischen Fluggast mein Übergepäckproblem zu lösen. In Russland gilt es als menschenfreundliche Aktion, unbeliebte bürokratische Vorgaben durch Ausweichmanöver zu umgehen. Im vorliegenden Fall gründeten wir einfach eine ›Gepäckgemeinschaft‹, checkten unsere drei Koffer gemeinsam ein und hatten somit die Kilo-Obergrenze pro Passagier unterschritten.

Geeignete Themen für Small Talk im Business sind allgemeine politische Themen, die Geschichte Ihrer Firma, Reisen, Familie und Kinder (!), Sport und Kultur. Was gibt es Neues im Theater, im Kino, auf dem Büchermarkt? Die meisten Russen sind sehr kulturinteressiert.

Konkrete politische Probleme Russlands sollten Sie besser nicht ansprechen. Russen kritisieren ihr Land zwar untereinander, aber nicht gern vor oder mit Ausländern. Auch über Sex, Religion und Gesundheit wird nicht gesprochen. Und wer übers Wetter redet, hat wirklich nichts zu sagen.

Zustimmung und Ablehnung heraushören

Ein russisches ›da‹ entspricht dem deutschen ›Ja‹. Es kann aber auch nur bedeuten, dass Ihr Gegenüber den Sachverhalt zur Kenntnis genommen hat. Hören Sie: ›Vsjo v parjádke‹ ‒ ›Alles in Ordnung‹, ›Vsjo búdet‹ ‒ ›Alles wird schon werden‹ oder ›Pasmótrim‹ ‒ ›Schauen wir mal‹, dann kann das durchaus ein Zeichen der Zustimmung sein. Manchmal dient diese Antwort aber auch nur der Beruhigung des Fragenden und offenbart die unaufgeregte Überzeugung, dass sich alle Probleme schon irgendwie lösen werden – was tatsächlich meist der Fall ist.

Ein direktes ›Nein‹ wird in der russischen Kommunikation möglichst vermieden. Die Bewahrung der guten Geschäftsbeziehung steht vor der sachlichen, aber konfrontativen Argumentation. Sach- und Beziehungsebene sind in Russland immer miteinander verknüpft. Zielführender ist es deshalb, die ›Ja, aber-Strategie‹ einzusetzen und Argumente anzuführen, warum sich eine Angelegenheit als schwierig erweisen könnte: ›Pasmótrim, no…‹ ‒ ›Wir werden sehen, aber…‹. Man vermeidet also besser ein klares ›njet‹ (›Nein‹).

Rein sachbezogene Kritik gibt es in Russland nicht

Konstruktive Kritik, die sich nur auf die Sache und nicht auf die Person bezieht, hat sich in der russischen Geschäftskultur bisher noch nicht durchgesetzt. Aus Angst, die persönliche Beziehung zum Arbeitskollegen oder Geschäftspartner zu gefährden, hält man sich deshalb mit Kritik eher zurück. Wenn überhaupt, wird sie nur unter vier Augen vorgebracht, damit der Kritisierte nicht sein Gesicht verliert.

Die Lust der Deutschen am Kritisieren und Korrigieren liegt den Russen eher fern. Sie nehmen Kritik anders wahr, nicht sach-, sondern personenbezogen. Sie fühlen sich persönlich getroffen, auch wenn sie das nicht zeigen. Die deutschsprachige abmildernde Bemerkung ›Das ist ja nicht gegen Sie persönlich gerichtet‹ verstärkt eher die negative Wirkung. In Russland steht das Zwischenmenschliche vor dem Geschäftlichen. Es gibt daher keine echte konstruktive Kritik. Deshalb wird sie auch nicht als Ansatz für Problemlösungen oder Verbesserungen gesehen.

So kommentieren meine russischen Trainingsteilnehmer selten etwas auf den von mir verteilten Feedback-Bögen. Und unter der Rubrik Vorschläge und Wünsche wechseln sie meist von der Sach- auf die Beziehungsebene und wünschen mir Glück, Gesundheit und Erfolg für die Zukunft.

Autorin: Dr. Heidrun IgraRusslandexpertin Dr. Heidrun Igra bietet interkulturelles Training für multinationale Unternehmen und Behörden, wie beispielsweise das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle, an. In ihren Seminaren bringt sie die russische Unternehmenskultur näher.

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Über den Autor

Steffen Henkel

Geschäftsführender Gesellschafter der crossculture academy

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