Andere Kulturen entschlüsseln

Werte, Traditionen und Annahmen, was als richtig und was als falsch anzusehen ist, tragen zu unserem nach außen hin sichtbaren Verhalten, Handeln sowie zu unserer Art der Kommunikation innerhalb einer Kultur bei. Doch wie lassen sich die Unterschiede zwischen zwei oder mehreren Kulturen beschreiben? Und wie kann man Kulturen im Hinblick auf ihre Eigenheiten miteinander vergleichen?

Kulturmodelle

Hierfür gibt es eine Reihe von wissenschaftlichen Modellen, die versuchen, kulturelle Besonderheiten zu beschreiben und vergleichbar zu machen. Aber Vorsicht! Alle Modelle und Ansätze sind stereotypisierend. Sie versuchen, eine generelle Tendenz zu beschreiben. In der Realität werden Sie es jedoch immer mit individuellen Persönlichkeiten zu tun haben!

Kulturdimensionen nach Geert Hofstede

Eines der bekanntesten Modelle ist das der Kulturdimensionen von Geert Hofstede. Hofstede hat bereits in den 60er/70er Jahren in einer großen empirischen Studie diverse kulturelle Unterschiede herausgearbeitet. Auch wenn die Ergebnisse seiner Studie – die in den letzten Jahrzehnten immer weitergeführt wurde, sodass die Datenbasis aktuell ist – in der wissenschaftlichen Welt nach wie vor heftig diskutiert werden, lieferte Hofstede das heute am meisten verwendete Modell, um Kulturen miteinander zu vergleichen.

Lassen Sie uns deshalb einen Blick darauf werfen, was genau es mit diesem Modell auf sich hat und wie es funktioniert:

Nach Hofstede wurden mittels Kulturdimensionen einzelne Aspekte einer Kultur ausgewählt und betrachtet. Dann wurden im Hinblick auf die einzelnen Aspekte verschiedene Kulturen miteinander verglichen, indem man sie auf einer Skala eingetragen und so in Relation zueinander gesetzt hat.

Die von Geert Hofstede definierten Kulturdimensionen helfen aber auch unabhängig von den Ergebnissen der Studie dabei, menschliches Handeln zu beschreiben – sie machen sozusagen das an sich „Unbeschreibbare“, das einem in der Zusammenarbeit mit Menschen aus anderen Kulturen auffällt, „beschreibbar“. Dementsprechend leisten sie einen wertvollen Beitrag zur Entschlüsselung von Kulturen.

Aber nun zu den einzelnen Dimensionen:

Machtdistanz

Da wäre zunächst die Kulturdimension „Machtdistanz“, welche Auskunft darüber gibt, inwieweit in einer Kultur Machtunterschiede anerkannt oder eher nivelliert werden. Es geht darum zu analysieren, wie Menschen gegenüber der Machtverteilung in einer Kultur eingestellt sind. Ein niedriger Wert bedeutet, dass eine Kultur akzeptiert, dass Machtverhältnisse demokratisch sind und alle Mitglieder als gleichwertig angesehen werden. Ein hoher Wert bedeutet, dass formale hierarchische Positionen akzeptiert werden. Unternehmen sind beispielsweise stark hierarchisiert.

Individualismus vs. Kollektivismus

Die Kulturdimension „Individualismus vs. Kollektivismus“ gibt Auskunft darüber, inwieweit sich die Mitglieder einer Kultur als Teil eines sozialen Gefüges sehen und sich diesem gegenüber verantwortlich fühlen. Es wird herausgestellt, dass es in individualistischen Kulturen wichtig ist, persönliche Ziele zu erreichen, während kollektivistische Gesellschaften Gruppenziele über individuelle Ziele stellen.

Unsicherheitsvermeidung

Die Kulturdimension „Unsicherheitsvermeidung“ zeigt, ob die Mitglieder einer Kultur von etwas Neuem eher abgeschreckt werden oder ob sie neugierig sind. Es wird gemessen, wie eine Gesellschaft mit unbekannten oder unerwarteten Situationen und dem Stress, der mit Veränderungen einhergeht, umgeht. Kulturen mit einem hohen Wert sind weniger tolerant gegenüber Veränderungen. Sie führen strenge Regeln und Gesetze ein, um Unvorhergesehenem vorzubeugen. Gesellschaften mit einem geringen Wert stehen Veränderungen offener gegenüber und neigen dazu, weniger Regeln zu haben.

Maskulinität vs. Feminität


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Die Kulturdimension „Maskulinität vs. Feminität“ stellt heraus, inwieweit sich die Mitglieder einer Kultur den Geschlechterrollen verpflichtet fühlen. Sie beschreibt die Wichtigkeit, die eine Kultur stereotypen maskulinen und femininen Werten beimisst. Kulturen mit einem hohen Wert auf der maskulinen Seite weisen mehr Unterschiede zwischen den Geschlechtern auf und sind in der Regel wetteifernder. In Kulturen mit einem niedrigen Wert gibt es weniger Unterschiede zwischen den Geschlechtern und es ist wichtiger, Beziehungen aufzubauen.

Langzeitorientierung vs. Kurzzeitorientierung

Die Kulturdimension „Langzeitorientierung vs. Kurzzeitorientierung“ gibt Auskunft über den Zeithorizont einer Kultur und darüber, inwieweit langfristiges Denken wertgeschätzt wird. Langzeitorientierte Kulturen betrachten Zeit als linear und blicken eher in die Zukunft. Darüber hinaus sind sie zielorientiert und legen Wert auf Belohnungen.  Kurzzeitorientierte Kulturen schätzen den Aufbau von Beziehungen und die Verwendung traditioneller Methoden. Für sie sind Vergangenheit und Gegenwart miteinander verbunden, d. h. was heute nicht erledigt wird, kann auch morgen noch gemacht werden.

Kulturdimensionen nach Alfons Trompenaars

Ein weiteres Kulturdimensionen-Modell stammt von Alfons Trompenaars. Es umfasst sieben Dimensionen von denen wir nur die folgenden näher betrachten wollen:

Universalismus vs. Partikularismus

Die Dimension „Universalismus vs. Partikularismus“ zeigt auf, ob korrektes Verhalten von allgemeingültigen Regeln bestimmt wird, oder ob, je nach Person oder Situation, Ausnahmen bzw. Abweichungen von diesen Regeln zulässig sind.

Neutral vs. Emotional

Die Dimension „Neutral vs. Emotional“ besagt, bis zu welchem Grad es toleriert wird, in der Öffentlichkeit Gefühle zu zeigen. Das bezieht sich nicht nur auf emotionale Ausbrüche,  sondern auch auf Gesten, Mimik und Lächeln.

Spezifisch vs. Diffus

Die Dimension „Spezifisch vs. Diffus“ zeigt, ob persönliche und berufliche Beziehungen klar getrennt werden oder eher vage ineinander übergehen.

Leistung vs. Abstammung

Die Dimension „Leistung vs. Abstammung“ beschäftigt sich mit der Frage, ob Status durch Anstrengung und Leistung erworben wird oder durch Abstammung und Zugehörigkeit. die entscheidenden Faktoren sind dann Geburt, Verwandtschaftsbeziehungen, Gruppenzugehörigkeit, das Alter, das Geschlecht, die Ausbildung etc.

Umgang mit der Zeit

Die Dimension „Umgang mit der Zeit“ definiert, wie in einer Kultur Zeit strukturiert wird. In Kulturen mit einem sequenziellen Zeitverständnis wird Zeit als ein geradliniger Verlauf von Ereignissen empfunden. Die Menschen schauen tendenziell nach vorne.

Bei einem synchronen Zeitverständnis können mehrere Dinge gleichzeitig stattfinden. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sind eher eins.

Umgang mit Natur und Umwelt

Die Dimension „Umgang mit Natur und Umwelt“ beschäftigt sich mit der Frage, wie hoch eine Kultur ihre Möglichkeiten einschätzt, das eigene Schicksal selbst zu bestimmen oder wie stark sie sich in der Hand ihres Umfelds oder der Natur fühlt.

Kulturdimensionen nach Edward T. Hall

Von Edward Twitchell Hall, Jr. stammt unter anderem die Unterscheidung von Kulturen nach High- und Low-context-Kulturen. In Kulturen mit starkem Kontextbezug orientiert sich die Kommunikation an äußeren Gegebenheiten, der aktuellen Situation und der non-verbalen Kommunikation. Die verbale Kommunikation ist dagegen eher vage. In Kulturen mit schwachem Kontextbezug ist die verbale Kommunikation sehr klar und direkt. Es werden für das Verständnis keine Kontextfaktoren hinzugezogen.

Monochrones vs. polychrones Zeitverständnis

Des Weiteren unterscheidet Hall zwischen einem monochronen und einem polychronen Zeitverständnis.

Monochrones Zeitverständnis

In Kulturen mit einem monochronen Zeitverständnis gilt: Eins nach dem anderen. Mitarbeiter werden beispielsweise eine Sache nach der anderen erledigen.

Polychrones Zeitverständnis

In Kulturen mit einem polychronen Zeitverständnis werden viele verschiedene Dinge gleichzeitig gemacht. Hier finden sich die wahren Meister des Multitaskings.

Kulturstandards nach Alexander Thomas

Ein weiterer Ansatz – ebenfalls umstritten und doch hilfreich – ist der der Kulturstandards von Alexander Thomas. Thomas unterscheidet nicht nach einzelnen Kulturdimensionen, sondern seine Kulturstandards basieren auf dem Vergleich konkreter Kulturen.

Per Definition von Thomas werden unter Kulturstandards „alle Arten des Wahrnehmens, Denkens, Wertens und Handelns verstanden, die von der Mehrzahl der Mitglieder einer bestimmten Kultur für sich persönlich und andere als normal, selbstverständlich, typisch und verbindlich angesehen werden. Eigenes und fremdes Verhalten wird auf der Grundlage dieser Standards beurteilt und reguliert.“

Demnach sind Kulturstandards die zentralen Kennzeichen einer Kultur, die als Orientierungssystem des Wahrnehmens, Denkens und Handelns dienen. Sie sind also

  • bindend für die Mitglieder der Kultur
  • unbewusst
  • vorgebend, was „normal“ ist
  • wandelbar
  • an Werte gebunden
  • Orientierung gebend
  • Verhaltensregulatoren und Ordnung schaffend
  • Einflussfaktoren für das Denken, Fühlen und Handeln
  • Kulturstandards sind zudem nicht aussagekräftig über die Qualität des Tuns, sondern geben nur Auskunft darüber, dass es (fast) alle so machen.

Bei einer Geschäftstätigkeit mit Deutschen wären die relevanten typisch deutschen Kulturstandards beispielsweise eine hohe Sachorientierung, eine direkte Kommunikation, die Wertschätzung von Strukturen, Regeln und Zeitplanung oder auch die Trennung zwischen Berufs- und Privatleben.
Diese Kulturstandards sind also Aspekte der deutschen Kultur, die von uns als normal, typisch und verbindlich angesehen werden. Sie bilden sozusagen die „Essenz“ der deutschen Geschäftskultur.

Autor Steffen Henkel

Steffen Henkel ist der Geschäftsführer und Inhaber der crossculture academy. Er ist seit über 20 Jahren im Bereich interkultureller Trainings beschäftigt und somit einer der bekanntesten Ansprechpartner zu dem Thema in Deutschland.

Steffen Henkel

Steffen Henkel ist Geschäftsführer und Inhaber der crossculture academy. Er ist seit über 20 Jahren im Bereich interkultureller Trainings und Entsendungen tätig. Seine Expertise ist international gefragt.

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