Wer gewinnt die Oberhand?

Eine der am häufigsten verwendeten Gesten in der westlichen Welt ist das Händeschütteln zur Begrüßung. In einigen Ländern gibt man sich die Hand bei jeder Zusammenkunft, in anderen eher nur beim ersten Kennenlernen und gegenseitigen Vorstellen. Eine Umfrage ergab beispielsweise, dass 70 Prozent der Ostdeutschen ihre Freunde und Bekannten mit Handschlag begrüßen, unter Westdeutschen sind es dagegen nur etwa 40 Prozent.

Das Händeschütteln kann auch als Bekräftigung einer getroffenen Vereinbarung erfolgen, z. B. unter Geschäftsleuten oder Politkern, wenn man sich nach langen Verhandlungen endlich einig geworden ist. Und auch um unsere tief empfundene Dankbarkeit auszudrücken, schütteln wir unserem Wohltäter freudig die Hand.

In friedlicher Absicht

Entstanden ist der Brauch des Händeschüttelns in den Tiefen der Geschichte, als man beim ersten Kontakt noch deutlich machen musste, ob man in der rechten Hand, der Kampfhand, eine Waffe hielt oder in friedlicher Absicht gekommen ist. Historiker vermuten, dass das Winken mit der leeren Hand aus der Ferne der Geste des Handschlags vorausging. Um dem anderen die Hand zu geben, musste man dann relativ nahe an ihn herantreten. Indem man dem Fremden zudem seine rechte Hand reichte, zeigte man sich wehrlos, hätte ihn nicht mehr attackieren und sich nur schwer verteidigen können. Gleichzeitig war der Handschlag aber auch nützlich, um den anderen ein wenig auf Abstand zu halten.


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Kontakt aufnehmen

Der Handschlag als goldene Mitte zwischen einer Umarmung, die man mit Fremden als zu nah und zu bedrohlich empfinden würde, und einem unsicheren Herumstehen, ohne dem anderen seine Bereitschaft zur freundlichen Kontaktaufnahme klar zu signalisieren, hat sich bis heute gehalten. Wir nehmen durch den Handschlag mit einer fremden Person zudem auf vielerlei Weise Kontakt auf. Wir sehen einander in die Augen, berühren das Gegenüber mit der Hand, hören seine Begrüßungsworte und kommen sogar nah genug heran, um den Geruch des anderen wahrzunehmen. Irische Forscher haben jüngst herausgefunden, dass eine kurze Berührung der Hand ausreicht, um die Duftstoffe des anderen aufzunehmen und seine eigenen zu übertragen. In gewisser Weise ist das Händeschütteln also ein Relikt der Evolution, wir „beschnüffeln“ uns, so wie es Hunde und andere Säugetiere tun.

Ohne uns darüber bewusst zu sein, ermöglichen wir durch den Handschlag einen intuitiven ersten Kontakt. Der Wunsch nach Körperberührung, um Vertrauen und Interesse auszudrücken, ist in unserem Verhaltensrepertoire tief eingebettet. Deswegen finden wir in unterschiedlichen Kulturen die verschiedensten Berührungen zur Begrüßung, sei es der Handschlag, die Umarmung, der Wangenkuss oder auch der Riechkuss bzw. Nasenkuss in einigen Kulturen Neuguineas.

Fester oder weicher Händedruck?

Die Geste des Händeschüttelns ist in der westlich geprägten Welt die Norm, variiert aber je nach Land und sogar je nach Person. Unter Männern gilt in vielen Ländern ein kräftiger Händedruck als Zeichen von Selbstbewusstsein, Kraft, Dominanz und Willensstärke. Mit einem Knochenbrecher-Handdruck könnten wir unser Gegenüber sogar in die Knie zwingen. Donald Trump scheint dies bestens zu beherrschen, er umklammert die Hand seiner Gesprächspartner und hält sie fest, ohne dass sich diese dessen erwehren könnten und einige sogar ins Straucheln geraten. Mittlerweile ist die Trump’sche Machtdemonstration mittels handshake weltweit Thema.

Ein sehr schwacher Händedruck kann wiederum negative Assoziationen hervorrufen. Wenn die Hand des Gegenübers sekundenlang ohne jede Regung in der unseren verweilt, schließen wir dabei vor allem auf Desinteresse und Zurückhaltung. Uns bleibt nichts anderes übrig, als die Hand schnell wieder loszulassen.
In asiatischen Ländern, wo bei der Begrüßung Zeichen der Respektsbekundung Vorrang haben, wie beispielsweise eine Verbeugung oder die gefalteten Hände vor der Brust oder dem Gesicht, gilt ein starker Händedruck als unhöflich grob. Ein weicher Handdruck weist hier also nicht auf die Sanftheit oder Schwäche einer Person hin, sondern ist als Norm der Höflichkeit zu werten.

Und auch die Briten legen beim Handschlag eher die Handflächen locker aneinander und vollziehen nur ein leichtes Schütteln. Da werden Deutsche ungewollt zum verpönten Knochenbrecher. Hat man seinen Faux-pas bemerkt, gibt es leider keine zweite Chance. Briten werden Ihnen nicht mehr die Hand entgegenstrecken, der Handschlag ist in der Regel dem ersten Kennenlernen vorbehalten. Beim nächsten Treffen geht man einfach aufeinander zu und begrüßt sich rein verbal.

Heranziehen oder Wegschieben?

Ein etwas längerer Handschlag oder auch ein Handschlag verbunden mit einem Schulterklopfen oder der zusätzlichen Berührung am Oberarm gilt in den meisten Kulturen als Zeichen der Verbundenheit, obwohl damit oft eine gewisse Assymetrie verbunden sein kann. So kann beispielsweise der Chef seinem Mitarbeiter auf den Rücken schlagen, umgekehrt wäre dies jedoch unangebracht. In südamerikanischen oder südeuropäischen Ländern, in denen man sich grundsätzlich offener und herzlicher begegnet und der soziale Abstand zwischen Gesprächspartnern deutlich geringer ausfällt als hierzulande, nutzt man den Handschlag oft, um den anderen enger an sich heranzuziehen, halb zu umarmen und um sich intensiver unterhalten zu können.

Das Gegenteil verfolgt vermutlich der „Wegstrecker“, der mit ausgestreckter Hand auf jemanden zugeht, im Moment des Handschlags aber den Arm nicht abwinkelt. Mit durchgedrücktem Arm hält er sein Gegenüber mit Sicherheitsabstand von sich fern. „Komm mir nicht zu nah“, lautet die Botschaft, die in westlichen Ländern akzeptiert ist, in südlichen Gefilden jedoch als Geste der Zurückweisung nicht gut ankommt.

Ein dominanter Gesprächspartner wird sein Gegenüber beim Handschlag an sich heranziehen, um diesen zu kontrollieren und seine Stärke zu demonstrieren. Er geht dabei vielleicht sogar so weit, dass er die Hand des anderen leicht dreht, sodass seine Hand oben liegt und die Hand des anderen mit abgeknicktem Handgelenk in einer Demutshaltung verweilt. Auch dies können wir bei Donald Trump gut beobachten. Gibt sich der andere nicht geschlagen und legt vielleicht seine zweite Hand auf die obenliegende Hand, mag das nach außen hin zunächst eng verbunden und herzlich wirken, kann aber auch zum Machtspiel werden, wenn nun der dominante Partner wiederum seine zweite Hand obenauf legt. Wer behält am Ende die Oberhand?

Das ABC des Händeschüttelns

In Anbetracht der vielzähligen Nuancen einer so weit verbreiteten Geste hat der britische Psychologieprofessor Geoffrey Beattie, University of Manchester, einige Grundregeln für den perfekten Händedruck aufgestellt. Beauftragt wurde er dafür ursprünglich von Chevrolet UK (General-Motors-Konzern), das seinen Verkaufsmitarbeitern einen überzeugenden, vertrauenserweckenden Handschlag antrainieren wollte. Es sei darauf hingewiesen, dass diese Regeln nur in westlichen Ländern für einen guten Eindruck sorgen!

Wichtig ist laut Beattie ein fester Händedruck mit der ganzen Handfläche, denn ein schlaffer Handschlag deutet auf Unsicherheit hin. Ein allzu forscher Händedruck wirkt jedoch überheblich. Die ausgestreckten Hände beider Personen sollten sich fairerweise auf halber Strecke treffen. Ein dreimaliges Schütteln gilt als angemessen, denn länger sollte man die Hand des Gegenübers nicht festhalten. Während des Händeschüttelns ist es angebracht, dem anderen in die Augen zu schauen und den Blickkontakt zu halten. Ein natürliches Lächeln kommt immer gut an.

Zusätzliche Berührungen am Unter- oder Oberarm gelten nicht unbedingt als herzlich, sondern werden schnell als territorialer Übergriff gewertet. Denn so wird nonverbal ein Führungsanspruch erhoben. Dasselbe gilt, wenn ein Partner beim Händeschütteln seine Hand nach oben dreht und den anderen dadurch in den Griff nimmt. Dadurch wird eine dominante Handlungsabsicht deutlich, die der andere als Herabsetzung interpretieren kann.

Übrigens ist auch eine nur angedeutete Verbeugung vor dem Gesprächspartner eine Unterwerfungsgeste. Wer sich schon beim Handschlag auf diese Weise klein macht, wird dem Gegenüber kaum mehr auf Augenhöhe begegnen.

Wie empfinden andere Kulturen den Handschlag?

Während wir die Geste des Händeschüttelns kaum hinterfragen, haben Menschen aus anderen Kulturen damit häufig Schwierigkeiten. Japaner beispielsweise, die einen großen sozialen Abstand zu ihrem Gegenüber pflegen, finden jegliche Form des Körperkontaktes bei der Begrüßung zwischen Fremden als äußerst unangenehm und werden ein Händeschütteln deshalb intuitiv vermeiden.

Eine äußerst schlechte Erfahrung machte diesbezüglich der japanische Ministerpräsident Shinzo Abe, der Anfang des Jahres einem Dauerhandschlag des amerikanischen Präsidenten zum Opfer fiel. 20 Sekunden lang ließ Donald Trump die Hand seines japanischen Gastes nicht mehr los und tätschelte diese noch dazu mehrmals mit seiner linken Hand.

In vielen streng muslimischen Kulturen wird wiederum das Händeschütteln zwischen Männern und Frauen abgelehnt. Unter traditionellen Hindus ist nach dem Namaste zwischen Männern auch ein beidhändiger Händedruck üblich, bei dem der in der sozialen Hierarchie Höherstehende die Hände des Gegenübers umfasst. Traditionell schütteln Männer jedoch niemals Frauen auf diese Weise die Hand, sondern belassen es beim berührungslosen Namaste.

Bundesinnenminister Thomas de Maizière führt das Händeschütteln zur Begrüßung in seinem Zehn-Punkte-Katalog einer deutschen Leitkultur auf, an die sich alle Einwanderer anpassen sollten. Und in der Schweiz erklärte eine Schulbehörde den Handschlag mit der Lehrkraft für alle Schüler zur Pflicht. Dieser Entscheidung war eine Debatte um allgemeine Schulregeln einerseits und der Religionsfreiheit andererseits vorausgegangen, nachdem sich zwei muslimische Schüler geweigert hatten, ihrer Lehrerin die Hand zu geben.

In beiden politischen Fallbeispielen lautet das Argument, dass die Geste des Händeschüttelns für Menschen aus anderen Kulturen zumutbar sei. Darüber lässt sich vermutlich streiten und es wurde auch viel gestritten. Stellen wir uns dazu einmal vor, wir müssten uns den Riech- oder Nasenkuss zur Begrüßung angewöhnen. Unser empfundenes Unbehagen würde auf der damit verbundenen ungewohnten Nähe zu einem Fremden beruhen und ließe sich vermutlich nicht so einfach überwinden. Ähnlich fühlt sich ein Japaner beim Dauerhandschlag mit einem Amerikaner, ein muslimischer Mann, der einer westeuropäischen Frau die Hand schütteln soll oder umgekehrt auch eine muslimische Frau, die entgegen ihrer Gewohnheit einem fremdem Mann die Hand geben soll.

Autorin Katrin Koll Prakoonwit – Bevor sie sich als Journalistin selbständig machte, schrieb Katrin Koll Prakoonwit Länderanalysen für die FAZ. Heute arbeitet sie für Publikationen verschiedener Beratungsunternehmen und Verlage. Frau Koll Prakoonwit lebt in Reading, Berkshire, bei London.

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