Jenseits solcher Bedingungen jedoch spielen die kulturellen Werte und Gewohnheiten eine tragende Rolle in jeder Art von geschäftlicher Transaktion. Für Ausländer mit einer anderen kulturellen Prägung ist dies immer wieder irritierend, manchmal sogar ein Störfaktor für ihre Projekte.
Kontakte werden leicht geknüpft
Türken charakterisieren sich selbst häufig als „warmherzig“. Kontakte werden in der Tat leicht geknüpft, zwischenmenschliche Beziehungen und persönliche Nähe genießen in fast allen Lebensbereichen eine sehr hohe Bedeutung. Die Präferenz der persönlichen Beziehung vor Aufgaben und Regularien hat allerdings weit reichende Konsequenzen. Letztlich wird in vielen Lebensbereichen die Verbindlichkeit von Regeln vom sozialen Status oder kollektiven Bindungen abhängig gemacht. Für Menschen, die mit diesen sozialen Regelsystemen nicht vertraut sind, kann dabei leicht der Eindruck von „Korruption“ und „Anarchie“ entstehen.
Soziale Beziehungen überlagern Regeln
Insbesondere Deutsche neigen in Bezug auf soziale Regelsysteme dazu, diese als für alle in gleicher Weise verbindliche Normen aufzufassen. In der Türkei demgegenüber werden offizielle Regeln häufig von sozialen Beziehungen überlagert. Im Geschäftsleben ist daher die persönliche Beziehung oftmals weit wichtiger als schriftliche Verträge. Neigen Deutsche dazu, Geschäftliches und Privates zu trennen, so spielt in der Türkei das persönliche – und damit auch private – Kennenlernen eine wichtige Grundlage für den Aufbau von Vertrauen. Was aus deutscher Sicht sich als regellos und chaotisch darstellen mag, birgt auf der anderen Seite ein großes Maß an Flexibilität sowie die Chance, auch komplizierte Sachverhalte binnen kürzester Zeit durch die Hinzuziehung von Bekannten und Freunden zu lösen.
Solidarität und Verantwortung
In der Türkei existieren verschiedene Kollektivformen, die auf gegenseitige Solidarität und Verantwortung beruhen. Neben der Familie sind dies beispielsweise das Patronagesystem und die Solidarität aufgrund der Herkunftsregion. Das Patronagesystem beruht auf einer Beziehung, bei der der sozial höher stehenden Person Loyalität und Dienstbarkeit zugesichert wird, die höhergestellte Person jedoch ihren sozialen Status und ihre Verbindungen einsetzt, um „den Ihrigen“ Vorteile zu verschaffen. Bezogen auf die Empfehlung beispielsweise gehört dazu, dass die empfehlende Person sich bis zu einem bestimmten Grad für die Transaktion verantwortlich zeigt.
Der hohe Stellenwert von Beziehungen schlägt sich auch im Stil nieder, wie Geschäfte abgeschlossen werden. Empfehlungen sind von großer Wichtigkeit und es ist durchaus nicht unüblich, dass Geschäfte nicht in Büros sondern in Restaurants oder Bars abgeschlossen werden. Großzügigkeit ist Teil der sozialen Gesten, mit denen sozialer Status demonstriert wird. Es gilt in der Türkei als unhöflich, in Restaurants getrennt zu bezahlen. Vielmehr wird jeder darauf dringen, das Privileg zu genießen, die Rechnung zahlen zu dürfen.
Verhandelt wird hart
Aber wie das türkische Sprichwort sagt: „Freundschaft ist eine Sache, Geschäft eine andere“, sollte diese soziale Großzügigkeit jedoch nicht mit der geschäftlichen verwechselt werden. Verhandelt wird hart und jene Verträge, die als ungünstig betrachtet werden, werden eben neu verhandelt oder einfach stillschweigend unterlaufen.
Sicherlich könnte manch einer geneigt sein, die starke Beziehungsorientierung der Türken lapidar als „Rückständigkeit“ und „Bildungsdefizit“ abzulehnen – was übrigens auch häufig in Diskussionen in der Türkei geschieht. Erfolgt die Betrachtung jedoch unter dem Gesichtspunkt kultureller gesellschaftlicher Werte, so zeigt es sich schnell, dass letztlich nur jene Geschäftsstrategien Aussicht auf Erfolg haben, denen es gelingt, eben diese Wertestrukturen zu berücksichtigen.
Autorin: Dr. Perihan Ügeöz
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