Auch Inder gehen gerne indisch essen

Inder gehen essen

Indien war immer etwas speziell, wenn es darum geht, Essen zu sich zu nehmen, das andere Leute gekocht haben. Wer weiß, was die so rein tun? Ob die wirklich sauber sind? Ob das Essen rein ist. Das heißt: den vielen religiösen Vorschriften gemäß zubereitet. Außerdem war es wichtig, dass Angehörige höherer Kasten, vor allem Brahmanen, nichts von dem zu sich nehmen, was Dalits (= Kastenlose, Unberührbare, Mahatma Gandhi nannte sie „Harijans“ – Kinder Gottes) kochten. Sie wären sonst unrein geworden. Skepsis und Misstrauen dominierten also. Überhaupt hieß es ganz praktisch: Zuhause schmeckt es am besten. Da weiß man, was man hat.

Eating out – the new definition of fun

Diese Zeiten scheinen nun endgültig vorbei. Auswärts zu Essen ist absolut im Trend. Vor allem in den Städten. Wer einen guten Job hat, kann es sich nicht nur leisten, in einem Restaurant Essen zu gehen, sondern genießt auch, dass andere die Arbeit für ihn erledigen. So bleibt Zeit, sich ganz auf das Wesentliche zu konzentrieren: Das Treffen mit Freunden, das gute Gespräch. Sich zum Essen zu verabreden, ist heute also angesagt.

Außerdem, so die „Foodies“, ist für jeden Geschmack etwas dabei. Man kann bestellen, wonach einem der Sinn ist. Vegetarisch oder doch etwas mit Fleisch. Die Vielfalt kennt keine Grenzen, zumal in den Städten Indiens inzwischen ganz unterschiedliche kulinarische Köstlichkeiten angeboten werden: Chinesisch ebenso wie mediterrane Küche, Burger und Sandwiches ebenso wie Pizza, Fastfoodketten wie Gourmet-Restaurants.

Eat healthy

Wenn auch die indische Mittelschicht vielfach gerade dabei ist, Rettungsringe und Hüftspeck anzusetzen, bricht sich ein neuer Trend die Bahn: Gesundes Essen. Die Zeitungen informieren nicht nur über gesundes Essen, sondern sind voll mit Rezepten über grüne Smoothies zum Beispiel und unterschiedlichste raffinierte Arten, Gemüse zuzubereiten. Avocados sind der Renner. „Low carb, low fat“ heißt die Devise.

Die Mutter meiner indischen Freundin, eine fortschrittliche Powerfrau der indischen Oberschicht, die sich von nichts und niemandem klein kriegen ließ, konnte sich mit Salat so gar nicht anfreunden. „Das ist Futter für die Ziegen und Schafe! So was kann man doch nicht essen!“ Ihr Tochter baut heute ganz selbstverständlich Ruccula, Endiviensalat und Kopfsalat im eigenen Gemüsegarten an. Bio selbstverständlich!

Die Einstellung zum Essen hat sich geändert. Uns ist das, was in Indien gerade populär wird, vertraut. Auch wir laden unsere Familie und Freunde zum Essen in ein Restaurant ein. Zwei große Unterschiede fallen gleichwohl auf: Einmal beim Zahlen und das andere Mal, wo man Platz nimmt. Verwundert? Dann lesen Sie einfach weiter.

Getrennt oder zusammen?

Zum ersten: NIE käme man in Indien auf die Idee, das Servicepersonal um getrennte Rechnungen zu bitten oder am Tisch dann umständlich ausrechnen zu lassen, wer denn nun wieviel zu zahlen hat. Getrennt oder zusammen, ist keine Frage in Indien. Es zahlt immer einer. Nämlich der, der einlädt.

Draußen? – Nein danke

Zum zweiten: In Indien mag man nicht draußen Essen. Ein schattiger Platz auf einer Terrasse oder im Biergarten unterm Kastanienbaum ist aus indischer Sicht komplett verrückt. Wieso in der Hitze sitzen, sich von Moskitos umschwirren lassen, wenn es doch innen mit der AC so gemütlich ist?

Besonders deutlich wurde mir das, als ich Anjali, eine Studentin aus Delhi zu Besuch hatte. Ihr erstes Mal außerhalb Indiens. Wir besuchten mehrere Städte in Deutschland und gingen ganz selbstverständlich auch zum Essen. Es war Juni und das Wetter war fantastisch. Für deutsche Verhältnisse. Die Straßencafés waren voll, jeder Platz im Biergarten besetzt. Wer draußen sitzen konnte, war glücklich.

Außer Anjali. Wenn ich ihr die Platzwahl überließ, landeten wir drinnen. Finster und stickig. Sie happy, ich nicht. Setzte ich mich durch und ergatterte einen Platz im Freien, hieß es: „These crazy Germans!“ Sie postete die Fotos von „im Freien sitzen und essen“ sofort in Facebook und sorgte bei ihren Freundinnen für komplette Verwirrung. Wie kann man nur? Völlig bescheuert.

Ob sich der Indian Mindset da noch ändern wird?

Prof. Dr. Simone Rappel

Simone Rappel ist selbst sehr vielseitig: von Hause aus Theologin, ist sie lange im Bereich Globales Lernen tätig gewesen, hat eine a.o. Professur inne und berät ihre Kunden zu allen Themen, die mit der Geschäftskultur in Indien zu tun haben. Ihr besonderes Interesse gilt ethischen Fragen in der interkulturellen Zusammenarbeit und ihre Einsichten bringt sie gern ganz konkret und praktisch auf den Punkt.

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