Kulturelle Unterschiede Singapur

An erster Stelle steht dabei ein kollektivistisches Denken, das vor allem darin Ausdruck findet, dass sich der Einzelne nicht so sehr als Individuum, sondern stärker als Teil einer größeren Gruppe definiert. Gegenseitiges Vertrauen und die Pflege persönlicher Beziehungen bilden daher die Basis einer jeden Geschäftstätigkeit. Geschäfte machen Singapurer mit bekannten Gesichtern innerhalb ihres Netzwerkes (=Gruppe), nicht mit fremden Außenstehenden.

Einer der wichtigsten Hinweise, die unsere Trainer den Teilnehmern in interkulturellen Trainings mit auf den Weg geben ist: Für eine erste Kontaktaufnahme mit einem singapurischen Unternehmen ist es für Deutsche förderlich, sich möglichst durch eine heimische Kontaktperson empfehlen oder vermitteln zu lassen. Oft übernehmen diese Aufgabe öffentliche Institutionen oder Business-Berater. Der auf diese Weise mit auf den Weg gegebene Vertrauensvorschuss ist unbezahlbar. Einfach auf gut Glück eine Anfrage per E-Mail zu schicken, reicht in Singapur meist nicht aus. Rufen Sie potenzielle Geschäftspartner zumindest an, sprechen Sie mit jedem persönlich – mehrfach und regelmäßig.

Damit aus Fremden schließlich Netzwerk-Freunde werden, genießen Geschäftsessen in Singapur einen hohen Stellenwert. Mittels einer großzügigen Gastfreundschaft wird nach und nach eine tragfähige Vertrauensbasis geschaffen, ehe schließlich Geschäftliches angegangen werden kann. Während es anfangs beim Essen noch sehr formell zugeht, sollte sich im Laufe der Zeit zeigen, dass die Chemie zwischen beiden Seiten stimmt. Das erreicht man in Singapur aber nicht unbedingt durch private, eher persönliche Themen oder humorvolle Bemerkungen. Zielen Sie darauf ab, als langfristig verlässlicher Geschäftspartner einen guten Eindruck zu machen.

Kommunikation – Sanft und mit Bedacht

Ob chinesischer, indischer oder malaiischer Abstammung, wie alle Asiaten bevorzugen auch Singapurer eine eher indirekte Kommunikation. Es ist hier nicht üblich, die Dinge unmissverständlich beim Namen zu nennen. Vieles wird eher umschrieben und angedeutet. Viele Kontextfaktoren tragen dazu bei, einzelne Gesprächselemente wie ein Mosaik zusammenzufügen. Vor allem negative Dinge werden nicht direkt angesprochen, sondern höchstens hinter freundlichen Worten verschleiert. Unsere deutsche Art, Probleme oder Kritikpunkte offen anzusprechen, ruft in Singapur schnell Befremden hervor. Vergessen Sie nicht, dass man in Singapur keine politische Meinungsfreiheit genießt. Eine Kultur der sozialen Kontrolle und Überwachung prägt den Kommunikationsstil. Zu viel Offenheit irritiert.

Die meisten Singapurer unter 40 Jahren sprechen sehr gut Englisch. Allerdings handelt es sich häufig um einen Mix aus Englisch und den lokal gesprochenen Sprachen und wird deshalb gerne als Singlish (Sino-English) bezeichnet.

Verhandlungsgespräche nur mit Verstärkung

Verhandlungen werden in Singapur meist zwischen Gruppen und nicht zwischen einzelnen Führungskräften geführt. Sitzt ein Verhandlungspartner ohne Begleitung am Konferenztisch, wird diesem wahrscheinlich ein Mangel an Status und Unterstützung im eigenen Team zugeschrieben, was seine Position im Verhandlungsgespräch massiv schwächt.

Auch Seniorität spielt im stark hierarchisierten Singapur eine große Rolle. Daher ist es empfehlenswert, zu Beginn eines Verhandlungsgesprächs möglichst keine Unsicherheit zu zeigen. Ein konsequentes Auftreten lässt keinen Zweifel daran, dass man berechtigt ist, diese Verhandlung zu führen. Insbesondere gegenüber älteren Geschäftspartnern kann es von Bedeutung sein, erst einmal eine starke Präsenz zu zeigen. Ein aussagekräftiger Titel auf der Visitenkarte kann hier besonders hiflreich sein, denn er hebt den persönlichen Status. Darüber hinaus ist Markenkleidung ein Muss, denn sie spiegelt Reichtum und damit persönlichen Erfolg wider.

Zeigen Sie älteren Geschäftspartnern gegenüber Respekt, beispielsweise indem Sie ihre Visitenkarte achtsam und aufmerksam studieren und nicht etwa ungesehen in die Sakkotasche gleiten lassen. Dies ist übrigens überall in Asien empfehlenswert. Daneben sollte nie vergessen werden, dass den Ranghöheren stets die Rangniedrigen vorgestellt werden. Lassen Sie ältere Gesprächspartner immer ausreden und antworten Sie erst nach einer kurzen Pause, in der Sie das Gesagte nachklingen lassen. Widerworte sollten Sie möglichst vermeiden.

Es gilt ohnehin der Grundsatz, dass auch in angeregten Verhandlungen alle jederzeit ihr Gesicht wahren. Wutausbrüche oder dergleichen sind verpönt. Selbst bei großen Meinungsverschiedenheiten unterbricht man den anderen nicht mitten im Satz, sondern wartet geduldig und trägt das Gegenargument ohne emotionale Entgleisung vor.

Entscheidungen im Konsens

Sehr asiatisch mutet in der gesamten singapurischen Businesswelt auch das stetige Streben nach Harmonie an. So werden beispielsweise Entscheidungen auf der entsprechenden Managementebene im Konsens getroffen. Stellen Sie sich daher darauf ein, dass Sie am Verhandlungstisch engagierten Partnern gegenübersitzen, die Entscheidung aber letztlich an anderer Stelle getroffen wird. Es kann eine Weile dauern, bis hinter verschlossenen Türen alle Beteiligten gehört worden sind. Dafür werden die Ergebnisse von allen am Entscheidungsprozess beteiligten Personen getragen, was letztlich zu effizienten und schnell umgesetzten Ergebnissen führt.

Auf eine Zu- oder Absage aus Singapur müssen Sie daher geduldig warten. Aber Vorsicht: Absagen werden meist ausweichend erteilt, um die zwischenmenschliche Harmonie nicht zu gefährden. Jegliche weitere Nachfragen Ihrerseits werden geflissentlich ignoriert werden, was das zuvor indirekt vermittelte „Nein“ weiter untermauert.

Zielstrebige Projektmeetings

Meetings und Gespräche in der späteren Projektzusammenarbeit verlaufen hingegen sehr zielstrebig. Letztlich entscheidet aber immer der aktuelle Status der persönlichen Beziehung zwischen den Projektpartnern über den weiteren Erfolg des angestrebten Vorhabens. Deshalb zielt man in Konfliktgesprächen immer auf eine Win-Win-Situation ab – in Singapur geht man eine langfristige Kooperation ein, die möglichst über ein einzelnes Projekt hinaus Bestand hat. Das setzt ein kooperatives Verhalten voraus! Unstimmigkeiten lassen sich hier nicht per Vertragsklausel und Anwalt, sondern nur über die Beziehungsebene lösen. Eine starke Beziehung zum singapurischen Geschäftspartner bietet einen weitaus besseren Schutz als ein juristisch ausgetüfftelter Vertrag.

Ordnung ist nicht gleich Planung

Der asiatische Stadtstaat besticht durch ein klares Regelsystem, das von nahezu allen befolgt wird. Auf Singapurs Straßen wie auch in Gebäuden und Organisationen herrscht Ordnung. Pünktlichkeit ist im Business ein Muss. Allerdings trifft die deutsche Planungsgenauigkeit deshalb noch lange nicht auf fruchtbaren Boden. Singapurer nehmen die Dinge gerne wie sie sind und reagieren auf Unwägsamkeiten lieber spontan. Man macht sich bei Projektstart daher eher wenige Gedanken über mögliche Eventualitäten. Einzelne Projektschritte werden nur grob geplant und je nach Bedarf auch kurzfristig angepasst. Man geht davon aus, dass es stets verschiedene Lösungsalternativen gibt und fasst die Dinge dementsprechend pragmatisch auf.

Loyale Beziehungen im Team

In der binationalen Projektzusammenarbeit tun deutsche Geschäftsleute gut daran, sich genau über Gruppenbildung und Hierarchien im singapurischen Partnerunternehmen zu informieren. Meist bilden dort Chef und Team die für alle richtungsweisende Gruppe. Diese fußt auf einer wechselseitigen, engen  Beziehung: Der Chef ist für das Wohl seiner Mitarbeiter verantwortlich, im Gegenzug bringt ihm sein Team Respekt und eine uneingeschränkte Loyalität entgegen. Anders als beispielsweise in Indonesien oder Malaysia ist dieses durch moralische Verpflichtungen geprägte Verhältnis allerdings rein auf den Arbeitsplatz beschränkt. Privat besteht zwischen Chef und Mitarbeitern wenig Kontakt. Hier greifen andere Gruppenzugehörigkeiten, wie etwa Großfamilie oder Freundeskreis. In Singapur wird daher klar zwischen Berufs- und Privatleben unterschieden, was in anderen südostasiatischen Ländern eher nicht der Fall ist.

Engmaschige Hierarchien

Neben dem Gruppendenken sind in singapurischen Unternehmen die Hierarchien sehr klar definiert. Jeder nimmt seinen Platz im Gefüge ein, die Macht ist an der Spitze der Pyramide konzentriert. Arbeitnehmer erwarten von ihren Vorgesetzten klare Anweisungen. Eine regelmäßige Kontrolle ihrer Arbeit wird nicht negativ aufgefasst, sondern mehr als ein Zeichen dafür gewertet, dass sich der Chef um seine Mitarbeiter kümmert und sich für ihre Arbeit interessiert. Diese kontinuierliche Begleitung der eigenen Arbeit ist ausdrücklich erwünscht – was ausländische Führungskräfte in Singapur häufig übersehen. Mit einem zu großen Handlungs- und Entscheidungsspielraum können singapurische Mitarbeiter ohne große Erfahrung mit westlichen Managementstilen nicht immer gut umgehen. Versucht der Chef zu viele Aufgaben an seine Mitarbeiter zu delegieren, wird das nicht etwa als gut gemeinter Vertrauensvorschuss begrüßt, sondern als eklatante Führungsschwäche verachtet.

Seinen Platz in der Hierarchie erreicht man in der singapurischen Geschäftskultur durch Leistung und Fähigkeiten, nicht etwa durch Status wie Familienzugehörigkeit oder Reichtum. Daraus folgt, dass trotz hoher Loyalität zu Vorgesetzten das Hinterfragen von Entscheidungen und Handlungen auf einem rein fachlichen Level durchaus möglich ist. Hierarchiedenken und Loyalitätsbeziehungen sind hier nicht mit blindem Gehorsam gleichzusetzen!

Kooperativ und ambitioniert

Statusunterschiede werden akzeptiert und bereiten in der Zusammenarbeit meist keine Probleme. Jeder ordnet sich mit einer gewissen Natürlichkeit ein oder unter. Mit Blick auf das Wohl der Organisation (=Gruppe) zeigen singapurische Mitarbeiter eine besonders hohe Kooperationsbereitschaft und stellen eigene Interessen zugunsten der anderen zurück. Querulanten werden hingegen schnell ausgegrenzt, da sie die Harmonie stören und der Gruppe schaden. Ein gutes Betriebsklima ist daher im kollektivistischen Singapur ein wichtiger Motivationsfaktor. Stimmt das Verhältnis zwischen Mitarbeitern und Chef bzw. innerhalb eines Teams nicht, leiden darunter meist auch Prozesse und Abläufe.

Gleichzeitig besteht in den meisten Unternehmen eine hohe Strebsamkeit, stets Höchstleistungen zu erbringen – und das möglichst in Rekordzeit, um im Wettbewerb zu bestehen. Ein umgangssprachliches chinesisches Lehnwort bedeutet wörtlich übersetzt „Angst vor dem Verlieren“. Ein freundliches Lächeln überdeckt die in Singapur immer gefühlte Eile. Davon sollten Sie sich aber nicht täuschen lassen.

Katrin Koll Prakoonwit

Katrin Koll Prakoonwit ist eine Frau der Sprache – und arbeitet sowohl mit Medien und im Content-Management. Sie baute eine Plattform auf, in welcher sie interkulturelle Zusammenarbeit zum Kernthema hatte.

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