Kulturelle Unterschiede Ghana

Im westafrikanischen Ghana leben weit über Hundert verschiedene Ethnien, die ihre eigene Religion, Sprache und Traditionen haben. Die größte Ethnie bilden die Akan, die zu den wenigen afrikanischen Volksgruppen mit einer weiblichen Vererbungslinie gehören. Die Aschanti sind der größte Stamm innerhalb der Akan. Weitere große Volksstämme, jeweils mit zahlreichen Unterstämmen, bilden die Ewe, die Mole-Dagbane, die Guan und die Ga-Adanbe.

Seit dem 15. Jahrhundert waren zudem die europäischen Seefahrernationen und christlichen Missionare im damaligen Königreich Ghana präsent, sodass bis heute britische, portugiesische, holländische und dänische Einflüsse zu spüren sind. Im 19. Jahrhundert gelang es schließlich den Briten, ihre Kolonie „British Gold Coast“ zu errichten. Die Bezeichnung „Goldküste“ wies darauf hin, dass Europäer hier Gold eintauschen konnten, das aus den Gebieten der Aschanti zu den Handelsorten an der Küste gebracht wurde.

Ghana war 1957 der erste afrikanische Staat, der nach dem zweiten Weltkrieg in die Unabhängigkeit entlassene wurde. Dies war auf starke nationalistische Bewegungen innerhalb der großen Volksstämme zurückzuführen. Hinsichtlich Wirtschaft, Logistik, Bildung und sozialer Entwicklung wurden während der britischen Kolonialzeit viele Meilensteine erreicht, von denen das multikulturelle Ghana – im Vergleich zu anderen Ländern des Kontinents – bis heute profitiert. Der jüngste Aufstieg zum Ölproduzenten ist daher nur ein Teil der Erfolgsgeschichte dieses kleinen, aufstrebenden Landes.

Traditionen und Kollektivismus

Obwohl verhältnismäßig viele Ghanaer in Städten leben, sich zum Christentum bekennen und eine britisch geprägte Ausbildung genossen haben, spielen alte Traditionen wie etwa die Ahnenverehrung oder spezifische Rituale eine bedeutende Rolle. Diese beziehen sich in Ghana nicht rein auf das Privatleben, sondern haben auch im geschäftlichen Umfeld ihren Platz.

Darüber hinaus ist Ghana stark kollektivistisch geprägt. Nicht das Individuum zählt, sondern das Wohl der Gemeinschaft. Das Band zwischen Mitgliedern einer Großfamilie ist sehr stark. Diese identifiziert sich wiederum als Teil einer ethnischen Gruppe. Die Verpflichtungen des Einzelnen gegenüber seiner Familie oder seines Stammes sind groß und haben immer Vorrang – auch gegenüber Anweisungen des Chefs. So muss beispielsweise beim Aufbau von Abteilungen oder Teams innerhalb eines Unternehmens immer auch berücksichtigt werden, welche Zugehörigkeiten der Teammitglieder bereits bestehen. Wer übersieht, dass die Mitglieder eines neu gegründeten Teams zu einander eher feindlich gesinnten Stammesfamilien gehören, wird sich im Tagesgeschäft mit diversen nicht wirklich erklärbaren Problemen konfrontiert sehen.

Afrikanische Führungsqualitäten

Die Großfamilie wird vom Familienoberhaupt geführt, der Stamm vom Stammesoberhaupt und das Unternehmen vom Unternehmenschef. Hierarchien und damit verbundene Verhaltensregeln spielen in Ghana eine große Rolle und dürfen auch von westlichen Geschäftspartnern oder Führungskräften nicht ignoriert werden. Der Chef ist in Ghana nicht nur Chef, sondern er erfüllt auch eine Vaterrolle: Er kümmert sich um viele Belange seiner Mitarbeiter, auch um persönliche Anliegen. Im Gegenzug bringen Mitarbeiter ihrem Chef eine uneingeschränkte Loyalität entgegen und stellen kaum etwas infrage.

Wer also in Ghana eine höhergestellte Rolle einnimmt, sei es in der Familie, im Stamm oder im Unternehmen, muss auch seiner Fürsorgepflicht gerecht werden. Dies wird als Senioritätsprinzip bezeichnet. Führungsrollen können sich zudem vom städtischen, wirtschaftlichen Bereich auf den ländlichen, familiären Bereich ausweiten. So ist es beispielsweise keine Seltenheit, dass hochqualifizierte Führungskräfte unter der Woche in der Hauptstadt Accra arbeiten und am Wochenende ihre Aufgaben als Herrscher ihres Stammes übernehmen.

Obwohl in der größten Ethnie des Landes die weibliche Erbfolge herrscht und die Frauenrolle innerhalb von Stamm und angehörigen Familien entsprechend dominant ist, finden sich in Ghana kaum weibliche Führungskräfte. Lediglich in den Bereichen Bildung, Gesundheit und Politik gibt es zunehmend Frauen in führenden Positionen.

Afrikanisches Zeitverständnis

„Das Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht!“, lautet ein bekanntes afrikanisches Sprichwort. Und ihren ungeduldigen deutschen Geschäftspartnern werden Ghanaer wahrscheinlich entgegnen: „Ihr habt die Uhr, aber wir haben die Zeit.“ Die typisch afrikanische Einstellung hinsichtlich Zeit und Zeitplanung hat in Ghana westlichen Einflüssen getrotzt: Planung und Organisation spielt für Ghanaer eine eher untergeordnete Rolle. Die Dinge lassen sich ohnehin nicht kontrollieren, daher ist eine Kurzzeitorientierung sinnvoller.

Viel wichtiger als die Zeit ist in Ghana die zwischenmenschliche Ebene. Ghanaer verbringen in einem Meeting mit Geschäftspartnern oder Kollegen so viel Zeit wie eben notwendig ist und werden sich nicht vom Kalender diktieren lassen, mit wem sie wann sprechen. Das ist auch eine Frage des gegenseitigen Respekts. Kein Ghanaer wird seinen Gesprächspartner zur Eile zwingen, nur weil der nächste Termin ansteht. Nehmen Sie es deshalb nicht persönlich, wenn Ihr ghanaischer Geschäftspartner ein paar Stunden später zum Termin mit Ihnen erscheint. Ist er einmal da, wird er Ihnen seine volle Aufmerksamkeit schenken – von einigen Unterbrechungen wie sein ständig klingelndes Handy und ein paar Nebengesprächen mal abgesehen.

Denn in Ghana dominiert ein polychrones Zeitverständnis, d.h. man erledigt gerne viele Dinge gleichzeitig und arbeitet nicht eine Sache nach der anderen ab. Damit ist eine hohe Flexibilität verbunden, die es Ghanaern erlaubt, während eines Gespräches nebenbei ein paar E-Mails zu versenden und stets mehrere Bälle in der Luft zu halten.

Zwischen den Zeilen oder auch per Sprichwort

Damit haben deutsche Geschäftsleute oft Probleme, vor allem weil sie für Gespräche mit Ghanaern ihre volle Konzentration benötigen. Ghana ist nämlich eine High-Context-Kultur: Es zählt nicht nur das gesprochene Wort, sondern Mimik, Körpersprache und vor allem der Kontext, in dem etwas gesagt wird, müssen richtig interpretiert werden. Aussagen sind oft uneindeutig, enthalten viele Andeutungen und es wird viel zwischen den Zeilen kommuniziert. Vor allem Sprichwörter sind in Ghana ein beliebtes Kommunikationsmittel, um dem Gegenüber in den Worten eines anderen zu vermitteln, was man selbst eigentlich denkt. Da müssen Deutsche, die meist einfach sagen, was sie denken, genau zuhören.

Da in Ghana die gute Beziehung zum anderen stets im Vordergrund steht, werden Ghanaer Sie nie mit einem direkten „Nein“ konfrontieren oder gar Kritik aussprechen und den anderen damit möglicherweise vor den Kopf stoßen. Keine Sache ist wichtig genug, um die persönliche Eben irgendwie zu gefährden. Gleichzeitig haben Würde und Ehre einen hohen Stellenwert, sodass das Kritisieren weitreichende Folgen bis hin zum nicht wiedergutzumachenden Gesichtsverlust haben kann.

Ein paar Etiketteregeln

Ghanaer legen Wert auf Etikette. Daher sollten Sie beispielsweise auf eine hierarchisch korrekte Anrede Ihres Gegenübers achten, die die aktive Verwendung eines möglichen Titels und sogar der Position im Unternehmen beinhalten kann. Fragen Sie gegebenenfalls nach, wie Name und Titel korrekt ausgesprochen werden. Die Akan haben übrigens sieben Vornamen für Männer und sieben für Frauen ausgewählt, die sich nach dem Wochentag der Geburt richten. So ist beispielsweise der frühere UN-Generalsekretär Kofi Annan an einem Freitag geboren. „Kofi“ ist der Vorname für alle Jungen, die an einem Freitag das Licht der Welt erblickt haben.

Westlichen Geschäftspartnern begegnen Ghanaer mit einem Handschlag. Visitenkarten werden meist bei der Begrüßung ausgetauscht – und zwar nur mit der rechten Hand. In Ghana dürfen Sie generell nichts mit der linken Hand übergeben und sollten auch nicht mit links auf etwas deuten oder jemandem zuwinken. Auch wenn nur etwa ein Fünftel der ghanaischen Bevölkerung muslimisch ist, gilt die linke Hand generell als unrein.

Da Ghana eine äußerst beziehungsorientierte Kultur ist, dient dem ersten Kennenlernen immer ein ausgiebiger Small Talk. Es wäre sehr unhöflich, zu früh auf Geschäftliches zu sprechen zu kommen.

Beziehungspflege von Angesicht zu Angesicht

Überhaupt kann ein Meeting mit Ghanaern rein aus lockeren Gesprächen bestehen, ohne das irgendwelche geschäftlichen Dinge angesprochen werden. Zum einen haben Ghanaer alle Zeit der Welt, zum anderen möchten sie ihre neuen potenziellen Geschäftspartner besser kennenlernen oder vielleicht nach einigen Problemen die Beziehungsebene neu etablieren. Ohne eine persönliche Vertrauensbasis werden Ghanaer jedenfalls kaum in gemeinsame Geschäfte einwilligen oder Projekte voranbringen. Was zählt, ist immer erst die zwischenmenschliche Beziehung, nie die Sache selbst.

Vor diesem Hintergrund ist es auch keine Überraschung, dass Geschäftsessen einen wichtigen Teil des Beziehungsaufbaus ausmachen. Einladungen sollten Sie in Ghana immer annehmen! Überhaupt hat die kontinuierliche Pflege Ihrer Geschäftskontakte in Ghana oberste Priorität. Regelmäßige persönliche Besuche sind Pflicht und auch Einladungen nach Deutschland werden zumindest erwartet, selbst wenn organisatorische Fragen das Vorhaben oft auf Eis legen.

Generell wird persönlichem Kontakt in Ghana immer der Vorrang gegeben. Eine geschäftliche Beziehung rein auf Basis von Schriftverkehr ist nahezu unvorstellbar.

Was mehr zählt als ein Schriftstück

So spielt auch ein Vertrag in Ghana eine eher untergeordnete Rolle. Für Ghanaer zählt häufig das mündlich Besprochene weitaus mehr. Denn wenn sich die Dinge ändern, muss eben eine neue Vereinbarung getroffen werden. Was im Vertrag steht, ist dann veraltet und hilft keinem wirklich weiter. So wie Kalender bedeutungslos sind, kann auch schriftliches Vertragswerk keine reibungslose Kooperation garantieren. Nur die beteiligten Personen können gemeinsam etwas bewirken, sofern ihre Beziehung zueinander stabil genug ist.

Suchen Sie bei Problemen also nicht nach der Schuldfrage oder der entsprechenden Vertragsklausel, sondern setzen Sie auf die zwischenmenschliche Ebene. Greifen Sie zum Telefonhörer oder noch besser, reisen Sie nach Ghana und legen Sie Ihren Geschäftspartnern beispielsweise dar, warum die pünktliche Lieferung für Sie so wichtig ist, statt vergangene Kalenderwochen vorzuzählen oder gar mit Strafen zu drohen.

Auf Dauer ein „kommunikationslastiges“ Engagement

Kooperationsprojekte in Ghana sind insgesamt sehr kommunikationslastig. Nicht nur Ihre ghanaischen Geschäftspartner möchten viel und gerne mit Ihnen persönlich sprechen. Auch im Tagesgeschäft müssen Sie davon ausgehen, dass man von Ihnen sehr klare und genaue Anweisungen erwartet. Die Hierarchien in ghanaischen Unternehmen sind fein differenziert und man strebt nicht danach, über den eigenen Tellerrand zu blicken. Eine klare Aufgabenverteilung ist daher essentiell. Um ghanaischen Mitarbeitern mehr Verantwortung zu übertragen, ist meist eine lange, schrittweise Vorbereitung notwendig, die sich auf die Unternehmenskultur insgesamt ausweiten muss. Viele deutsche Unternehmen berichten jedoch, dass die Zusammenarbeit mit ghanaischen Teams letztlich sehr gut funktioniert, wenn beide Seiten bereit sind, voneinander zu lernen.

Autorin: Katrin Koll Prakoonwit – Bevor sie sich als Journalistin selbständig machte, schrieb Katrin Koll Prakoonwit Länderanalysen für die FAZ. Heute arbeitet sie für Publikationen verschiedener Beratungsunternehmen und Verlage. Frau Koll Prakoonwit lebt in Reading, Berkshire, bei London.


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