Hürden im deutsch-französischen Bewerbungsgespräch
Schauen wir an einem sonnigen Morgen in die Personalabteilung eines deutschen Traditionsunternehmens, das großen Wert auf guten Umgang mit seinem Personal auf allen Ebenen legt und dies auch lebt. Ein junger französischer Ingenieur, Absolvent einer sog. französischen ,,Elitehochschule“, zwei Vertreter der Fachabteilung und die Beauftragte der besagten Personalabteilung, die für die Personalakquise, speziell für ,,Highpots“ zuständig ist, treffen sich zu einem Vorstellungsgespräch.
Französische Arroganz?
Das Gespräch verläuft ganz normal, bis dem Bewerber Fragen zu seinen Zukunftsplänen, zu seiner Vision und seiner von ihm erstrebten Entwicklung nach 3-4 Jahren im Unternehmen gestellt werden. Nach einem kurzen Stutzen antwortet er verhältnismäßig vage. Die Abteilungsvertreter haken nach, ob er sich nach dieser Zeit nicht eine gewisse Veränderung wünschen würde. Irgendwie scheint der Kandidat nicht richtig zu verstehen, was gemeint sein könnte. Nächste Fragerunde, ob für ihn eventuell eine Projektgruppenleitung infrage käme? Da kann er sich nur schwer zügeln und deutet diplomatisch an, dass es bei seinem Werdegang und seiner Ausbildung wohl klar sei, dass ihm eigentlich sogleich eine Leitungsfunktion zustünde.
Beim Hinausbegleiten echauffiert sich der Bewerber sehr über die Engstirnigkeit der Interviewer: ihre Fragen erscheinen ihm überaus kleinkariert. Die Vorstellungen, die sie sich wohl von einem Absolventen einer derartigen Eliteschule machen, haben ihn sehr überrascht. lm Besprechungsraum sind umgekehrt die Fachvertreter sehr empört über die Anmaßung dieses jungen Mannes: eine solche Arroganz, typisch französisch!
Interkulturelle Unterschiede im Erziehungssystem
Kann man sich in die unterschiedlichen Vorstellungswelten der Beteiligten hineinversetzen, macht ein solches Ergebnis sehr betroffen! Was ist aber eigentlich genau passiert? Um das genauer erklären zu können, folgt ein stichwortartiger Vergleich zwischen dem deutschen und dem französischen Erziehungssystem:
Dies hat weitergehende Auswirkungen, als auf den ersten Blick erkennbar. Beide Erziehungssysteme sind im Grunde der Ausgangspunkt für sehr unterschiedliche Persönlichkeitsprägungen, später auch sehr unterschiedliche Profile! Dies wird deutlich in der Gegenüberstellung dessen, was beide Erziehungssysteme jeweils fördern:
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In der Tat betrachtete sich unser junger französischer Ingenieur als frischgebackener Absolvent einer sogenannten Elitehochschule für Ingenieure bereits zum Zeitpunkt des Vorstellungsgesprächs als Führungskraft. Diese Haltung ist ihm auch während seiner gesamten Ausbildungszeit eingeprägt worden. Darin lag das Missverständnis! Die Selbstwahrnehmung des eigenen Profils durch den Bewerber unterschied sich fundamental von der Fremdwahrnehmung durch die Fachvertreter.
Die deutschen Abteilungsvertreter ihrerseits waren einfach nicht auf diese Situation vorbereitet. Für sie ist jemand ein guter Ingenieur, der sich in seinem Fach auskennt, also vor allem durch Fachwissen glänzt, und der aufgrund von Daten und Fakten solides Projektmanagement betreiben kann. Da sind ausgeprägtes Selbstbewusstsein, Stressfähigkeit, Druckresistenz, schnelles Auffassungsvermögen, Flexibilität (der legendäre französische ,,esprit de synthèse“) sowie die Fähigkeit, Visionen zu entwickeln, jedenfalls in dem Ausmaß, wie es häufig bei solchen französischen Profilen der Fall ist, zumindest beim Eintritt in den Beruf weniger gefragt. Diesen Eigenschaften haftet sogar fast etwas Unseriöses an und ihnen wird mit einer gewissen Skepsis begegnet.
Französische Laufbahnen
Dabei wird übersehen, dass einer Aufnahme in einer sogenannte ,,Elitehochschule“ in Frankreich ein äußerst anspruchsvolles Vorbereitungsstudium (,,classes péparatoires“ oder kurz,,prépa“ genannt) von zwei Jahren vorausgeht. Während dieser Zeit wird von montags um 8 Uhr bis freitags ca. 17 Uhr studiert und gepaukt. Am Abend und am Wochenende wird selbstverständlich weitergelernt. Jeden Freitag finden schließlich Prüfungen über den Stoff der Woche statt. An Urlaub oder sonstige Ruhephasen ist kaum zu denken. Es gilt die Aufnahmeprüfung (,,Concours“) in einer möglichst hochplazierten dieser begehrten Schulen zu bestehen. Die Zahl der Plätze ist begrenzt, und der Erfolg ist nicht garantiert. Dieser Weg kostet Zeit und Geld, wobei nebenher Geld zu verdienen äußerst schwer ist. Das ausgeprägte Selbstbewusstsein des jungen Franzosen kommt daher nicht von ungefähr. Darüber hinaus kommen die französischen Hochschulabsolventen den deutschen Abteilungsvertretern oft sehr jung vor. Sie sind in der Tat im Durchschnitt um ein paar Jahre jünger als ihre deutschen Mitbewerber.
Verstärkt werden diese eben beschriebenen Missverständnisse in den Wahrnehmungen, wenn sich nicht ein junger Mann, sondern eine Kommilitonin unseres jungen französischen Ingenieurs bewirbt. Ohnehin bewerben sich nach wie vor wenige Frauen für Ingenieurberufe. lhnen wird man noch weniger als ihren männlichen Mitbewerbern eine Projektteamleitung zutrauen, eine Aufgabe, für die sie aber vorbildlich ausgebildet sind.
Kulturelle Unterschiede überbrücken
Bedauerlich im vorliegenden Fall war, dass der französische Bewerber nicht berücksichtigt werden konnte, obwohl er aus der Sicht der Personalabteilung für die in Frage kommende Position sehr wohl der Richtige war. Die gegenseitige lrritation war aber im Laufe des Gesprächs derart eskaliert, dass die Personalleitung keine Möglichkeit sah, diesen Bewerber gegen die dezidierte Meinung der Abteilungsvertreter einzustellen. Dank seines Profils hätte er mancherlei Eigenschaften mitgebracht, die in einem deutschen Unternehmen weniger vertreten sind und sich in ihrer Andersartigkeit und in ihrem unterschiedlichen Profil gut ergänzt hätten.
In Zeiten der Globalisierung ist es für Unternehmen von großer Bedeutung,eine ausgewogene Kombination unterschiedlicher Kulturen im eigenen Haus vertreten zu haben.
Autorin Dr. Françoise Dorison
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