Gesicht wahren, geben und bekommen

Auch im Deutschen haben wir die Redewendung „Das Gesicht wahren“. Gemeint ist damit, dass man sein Ansehen in der Öffentlichkeit schützt und sich somit den Respekt der anderen bewahrt. Wer sein Gesicht hingegen verliert, hat durch sein enttäuschendes Verhalten das bisherige Bild seiner Person in den Augen der anderen beschädigt. Man hat sich eine Blöße gegeben, hat sich blamiert oder lächerlich gemacht.

Das Gesicht als soziale Stellung

In Asien ist das Gesichtskonzept im Prinzip ähnlich, jedoch in seiner Ausprägung komplexer und von weitaus größerer Bedeutung für das gesellschaftliche Zusammenleben. Was immer man tut wird daran gemessen, ob man selbst und die anderen das Gesicht wahren oder nicht. Es wird alles daran gesetzt, niemanden in eine unangenehme oder gar peinliche Lage zu bringen. Gelingt dies nicht, ist die gefühlte Scham unermesslich groß.

Das Gesicht ist hier als soziale Stellung zu verstehen und spiegelt wider, welchen Grad an Respekt und Ansehen der Einzelne innerhalb verschiedener Beziehungsstrukturen(Geschäftsleben, Bekanntenkreis, Familie) genießt. Dieser Denkweise liegt die Auffassung zugrunde, dass eine Gesellschaft nur dann funktionieren kann, wenn sich jeder jederzeit um Harmonie bemüht. Dabei ist das Achten des Gesichts eines anderen genauso wichtig wie das Bewahren des eigenen Gesichts. Wer einmal das Gesicht verliert, kann dieses nicht so einfach wieder zurückgewinnen.

Kontrollverlust führt zu Gesichtsverlust

Der Gesichtsverlust kann jedoch schnell passieren, etwa wenn man die Kontrolle über seine Gefühle verliert. Denn dies wird in Asien als äußerst schlechtes Benehmen gewertet. So wird in vielen asiatischen Ländern beispielsweise viel gelächelt, um dahinter negative Gefühle, wie etwa Missbilligung, Wut oder aber auch Schüchternheit bzw. Nervosität zu verbergen. Klappt das nicht, entgleiten nicht nur die Gesichtszüge, sondern auch das soziale Gesicht zerfällt. Andere anzuschreien, seiner Wut freien Lauf zu lassen, einfach auszurasten, ist in Asien unverzeihlich. Wer hier schreit, hat nicht nur Unrecht, sondern tut den anderen Unrecht an.

Anderen keinen Schaden zufügen

Gesicht verliert nämlich auch, wer etwas tut, das einem anderen oder gar der gesamten Bezugsgruppe schadet. Dazu zählen Dinge, wie jemandem eine Bitte abzuschlagen, ein Versprechen zu brechen, das Know-how des Vorgesetzten anzuzweifeln oder einfach anderer Meinung als die Kollegen zu sein. All diese Dinge gefährden die Harmonie zwischen den Beteiligten, welche immer höher bewertet wird als beispielsweise die Wahrheit der Dinge.

Aus diesem Grund ist ein „Ja“ in Asien nicht immer gleichbedeutend mit einem deutschen „Ja“, sondern es kann auch „vielleicht“ oder gar „Nein“ bedeuten. Dies ist nicht als Täuschungsmanöver zu verstehen, denn Asiaten verfolgen damit nur die Erfüllung des höheren Anspruchs, den anderen nicht durch eine negative Aussage vor den Kopf zu stoßen. Man hält sich lieber bedeckt, enttäuscht nicht, kritisiert nicht und verweigert sich nicht. So wird verhindert, dass man selbst oder der andere sein Gesicht verliert, indem Gefühle verletzt und damit mutwillig herausgefordert werden.

Aber auch die eigene Unwissenheit wird gerne durch ein „Ja, alles klar“ verschleiert, um sich keine Blöße geben zu müssen. Vorgesetzte haben es schwer, herauszufinden, ob ihre Mitarbeiter alle Anweisungen verstanden haben. Und wer in Asien einen Passanten nach dem Weg fragt, wird immer eine Wegbeschreibung erhalten, ganz gleich ob der Gefragte den Weg kennt oder nicht.

Asiaten nehmen das Wort „Nein“ nicht in den Mund, während ihre Mimik und Gestik Bände spricht. Zustimmung oder Ablehnung sind daher nicht in den Worten zu suchen, sondern an Gesicht und Händen zu erkennen.

Das eigene und das Gesicht des anderen wahren

Das Gesicht wird gewahrt, indem man sich ruhig und zuvorkommend verhält. Kritische Worte werden nur sehr vorsichtig und ausschließlich unter vier Augen ausgesprochen. Offene Konfrontationen werden in Asien immer vermieden, um den anderen und sich selbst erst gar nicht in die Gefahr eines möglichen Gesichtsverlustes zu bringen. Einen Mitarbeiter vor anderen zu maßregeln, lässt diesen unweigerlich das Gesicht verlieren. Aber auch der Chef erleidet einen Gesichtsverlust, weil er den Mitarbeiter in diese unangenehme Situation bringt und somit dessen Ansehen nicht zu respektieren weiß. Das Mindeste, was man in solch einer Situation noch tun kann, ist dem anderen durch positive Worte möglichst schnell wieder aus seiner misslichen Lage herauszuhelfen.

Übrigens werden Asiaten erst einmal freundlich lachen oder lächeln, wenn jemand auf der Straße stolpert und hinfällt. Dem westlichen Unglücksvogel mag dieses Lachen taktlos erscheinen. Aus asiatischer Sicht dient das Lachen jedoch dazu, sein Gesicht zu wahren und ihm aus dem peinlichen Moment herauszuhelfen. Die helfende Hand wird so in zweifacher Hinsicht ausgestreckt.

Dem anderen einen würdevollen Rückzug zu ermöglichen, ist in Asien eine Frage der Ehre. Sei es bei einem kleinen Missgeschick, einem Irrtum, bei Unwissenheit, im Falle des Kritisiertwerdens oder des Verlierens im Verhandlungsgespräch: Es liegt in der Verantwortung aller, schwierige Situationen schnell zu überwinden.

Gesicht geben und bekommen

Darüber hinaus kann man in Asien auch aktiv Gesicht geben. Für die persönliche Beziehungsebene ist es äußerst förderlich, die guten Leistungen und Taten des anderen hervorzuheben und ihm somit Gesicht (=Status) zu verleihen. Die eigenen Stärken oder erreichten Ziele zu erwähnen oder gar Überlegenheit zu demonstrieren, würde hingegen als protzig und aufdringlich empfunden werden, was wiederum einem massiven Gesichtsverlust gleichkommt. Werden die guten Taten jedoch von anderen erwähnt, bekommt man Gesicht. Die Tugend der Zurückhaltung verlangt jedoch, dieses erhaltene Lob sofort wieder herunterzuspielen, den innerlich empfundenen Stolz zu verbergen und so wiederum das Gesicht nach außen hin zu wahren.

Würde und Respekt sind im Asiengeschäft unverzichtbar

Das Konzept des Gesichtwahrens in Asien setzt voraus, dass wir unseren Geschäftspartnern, Mitarbeitern und Kollegen vor Ort stets mit Würde, Respekt und Achtsamkeit begegnen. Denn unser eigenes Gesicht ist immer eng mit dem Gesicht der anderen verbunden. Nur wer es versteht, Gesicht zu wahren und zu geben, wird von und vor anderen Gesicht bekommen.

Autorin: Katrin Koll Prakoonwit – Bevor sie sich als Journalistin selbständig machte, schrieb Katrin Koll Prakoonwit Länderanalysen für die FAZ. Heute arbeitet sie für Publikationen verschiedener Beratungsunternehmen und Verlage. Frau Koll Prakoonwit lebt in Reading, Berkshire, bei London.


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