
Wenn Sie italienische Geschäftspartner oder Kollegen treffen, sind Sie vielleicht fasziniert von ihrer fachlichen Kompetenz, ihrer besonderen Herangehensweise an Prozesse, ihrer Fähigkeiten, hochwertige Produkte zu entwickeln und ihrem ausgeprägten Sinn für Design.
Vielleicht arbeiten Sie auch bereits mit Italienern zusammen – aus genau einer dieser Gründe.
In beiden Fällen lohnt es sich, die italienische Geschäftskultur und Kommunikationsweise besser zu verstehen, um das Beste aus ihren Meetings herauszuholen. Einblicke in den Aufbau von Beziehungen, das Zeitverständnis und Entscheidungsprozesse in Italien bieten einen wertvollen Rahmen, um Missverständnisse zu vermeiden und Verhaltensweisen richtig einzuordnen, die sonst irritieren oder ablenken können.
Eventuell haben Sie mit ihrem Geschäftspartner bereits eine Agenda festgelegt und den Zweck Ihres Meetings geklärt- sei es, um eine Zusammenarbeit zu sondieren, über eine Partnerschaft zu entscheiden oder aktuelle Themen zu besprechen.
Obwohl Sie scheinbar dieselbe Sprache sprechen, kann Ihr italienischer Partner bestimmte Begriffe ganz anders interpretieren.
 
 
 Den richtigen Ton treffen: Agenda und Small Talk
Italienische Geschäftsleute betrachten eine Agenda eher als Hilfsmittel, um Ihre Absichten besser einzuordnen und den Grundstein für eine langfristige Zusammenarbeit zu legen.
In der stark beziehungsorientierten italienischen Geschäftskultur spielen persönliche Kontakte und gegenseitiges Vertrauen eine zentrale Rolle. Sie sind entscheidend für erfolgreiche Geschäftsbeziehungen und fester Bestandteil der italienischen Geschäftsetikette.
 
Beziehungsaufbau durch Small Talk
In der italienischen Geschäftskultur beginnt nahezu jedes Meeting mit Small Talk – und das aus gutem Grund. Während dieser in vielen Ländern lediglich als kurze Aufwärmphase gilt, hat er in Italien eine deutlich tiefere Bedeutung. Small Talk beschränkt sich hier nicht auf oberflächliche Themen wie das Wetter oder Wochenendpläne. Vielmehr ist er situationsbedingt und oft inspiriert durch persönliche Beobachtungen – etwa ein Kompliment, eine kürzliche Begegnung oder sogar Ihre Brillenwahl.
Dieser scheinbar beiläufige Austausch spielt eine zentrale Rolle beim Aufbau von Vertrauen und erfolgreichen Geschäftsbeziehungen in Italien – und sollte keinesfalls unterschätzt werden.
Small Talk:
- stimmt auf die Zusammenarbeit ein,
 - gibt Einblick in Ihren Umgang mit unerwarteten Situationen,
 - und eröffnet kreative Zugänge für gemeinsame Lösungen.
 
Zugleich schafft er eine Vertrauensbasis, die Ihr italienischer Geschäftspartner ebenso zu schätzen weiß wie Sie.
 
 
 Italienisches Zeitgefühl
Wie pünktlich ein Meeting beginnt, variiert je nach Unternehmen und Branche. Nutzen Sie mögliche Wartezeiten sinnvoll: Beobachten Sie das Geschäftstreiben, sammeln Sie Eindrücke von der Unternehmenskultur und knüpfen Sie erste Kontakte durch Small Talk.
Italiener haben meist eine polychrone Auffassung von Zeit (Hofstede, 2001; Meyer, 2014). Zeit wird nicht als starre Abfolge von Aufgaben gesehen, sondern als Raum, in dem Ideen, Beziehungen und Kreativität im Mittelpunkt stehen. Zeitliche Vorgaben können flexibel sein – menschliche Begegnung dagegen nicht.
 
Ein flexibler Ablauf
Diese kreative Haltung zeigt sich auch in anderer Hinsicht:
- Multitasking gehört für viele Italiener zum Alltag – auch während Meetings.
 - Unterbrechungen, Sprecherwechsel oder Pausen gelten als Teil eines lebendigen Austauschs. Edward Hall (1966) bezeichnete dies als Chronemik der Kommunikation. Eine direkte Reaktion ohne Pause signalisiert Interesse; bleibt diese aus, kann das als Desinteresse verstanden werden.
 - In der italienischen Geschäftskultur ist es üblich, dass Teilnehmer während des Meetings spontan kommen und gehen – ganz ohne formelle Ankündigung. Dieses Verhalten ist kein Zeichen von Unhöflichkeit, sondern Ausdruck der typisch italienischen Haltung va da sé – es versteht sich von selbst.
 
 
 Entscheidungsfindung in italienischen Unternehmen
Entscheidungsprozesse in italienischen Meetings können von dem abweichen, was Sie gewohnt sind.
In Familienunternehmen oder eher traditionellen Branchen eröffnet meist die ranghöchste Führungskraft die Diskussion – und trifft am Ende häufig auch die Entscheidung. Dennoch wird erwartet, dass alle Anwesenden aktiv ihre Meinung äußern.
In manchen Kulturen verläuft die Entscheidungsfindung nach einem klar strukturierten, konsensorientierten Ablauf, bei dem jeder Schritt auf den vorherigen aufbaut. In Italien hingegen gelten Kreativität und Flexibilität als zentrale Erfolgsfaktoren. Diese werden jedoch nicht immer durch einen strikt linearen Prozess gefördert. Sobald die Diskussion eröffnet ist, beteiligen sich die Teilnehmer aktiv. Dabei ist es durchaus möglich, dass bereits abgeschlossene Themen erneut aufgegriffen und diskutiert werden.
Dies betrifft nicht nur die Preisgestaltung, sondern viele weitere Aspekte einer Verhandlung und Zusammenarbeit. Oft sind mehrere Ebenen der Führungshierarchie in den Entscheidungsprozess eingebunden, was die endgültige Entscheidung verzögern kann.
 
Informeller Austausch
Viele Themen könnten auch informell außerhalb offizieller Meetings besprochen werden.
Im Sinne des italienischen Wert fare bella figura – durch Respekt und Aufmerksamkeit einen guten Eindruck zu hinterlassen – sollte Kritik stets diplomatisch und mit Feingefühl geäußert werden. Die Wahrung von Harmonie und der Aufbau langfristiger Geschäftsbeziehungen haben oft oberste Priorität.
 
 Langfristige Partnerschaft in Italien aufbauen
Diese kulturellen Muster bieten hilfreiche Erklärungsansätze für Verhaltensweisen, die von Ihrer eigenen Unternehmenskultur abweichen können – und dienen als Orientierung für eine erfolgreiche Kooperation.
Neben kulturellen Aspekten sollten auch individuelle Erfahrungen ihres Partners, regionale Unterschiede sowie branchenspezifische Faktoren, je nach Start-up oder staatliche Organisation, in der Zusammenarbeit berücksichtig werden.
Wie eine eingängige Melodie wissen wir alle eine gute Geschäftsmöglichkeit zu schätzen, doch Ihre Komposition kann variieren.
Ihre Denkweise und Offenheit für alternative Interpretationen sind oft die entscheidenden Erfolgsfaktoren, wenn Sie mit italienischen Unternehmen arbeiten und nachhaltige internationale Geschäftsbeziehungen aufbauen möchten.
Carmela Masecchia Schöpf, Interkulturelle Diplomatin, Freiberufliche Interkulturelle Trainerin und Coach
Interessiert an weiteren wertvollen Einblicken zum Thema?
Bibliografie:
Hall, E. T. (1966). The Hidden Dimension. Doubleday.
Hofstede, G. (2001). Culture’s Consequences: Comparing Values, Behaviors, Institutions and Organizations Across Nations. Sage Publications.
Meyer, E. (2014). The Culture Map: Breaking Through the Invisible Boundaries of Global Business. PublicAffairs.
															


