Kulturelle Unterschiede Belgien

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Mit Brüssel im Zentrum der Europäischen Union zeigt sich die belgische Arbeitswelt internationaler als in manch anderen EU-Staaten. Neben den multikulturellen Einflüssen durch die zahlreichen ausländischen Bewohner blickt Belgien auch auf inländische wirtschaftliche, politische und vor allem kulturelle Grenzen. So wurden in den 80er und 90er Jahren durch mehrere Staatsreformen die drei autonomen Gliedstaaten Flandern, Wallonien (Wallonie) und Brüssel geschaffen, die im heutigen Bundesstaat Belgien nicht unbedingt friedlich nebeneinander bestehen.

Rund die Hälfte der Belgier im nördlichen Landesteil Flandern spricht Flämisch (belgisches Niederländisch), etwa ein Drittel im wallonischen Südteil spricht neben der wallonischen Sprache vor allem Französisch. Brüssel ist eine französischsprachige Enklave innerhalb Flanderns, wobei sowohl Französisch als auch Flämisch Amtssprachen sind.

In Ostbelgien, innerhalb Walloniens, existiert zudem eine kleine deutschsprachige Gemeinde. Von nationaler Einheit ist im Königreich Belgien oft wenig zu spüren. Viele Einwohner fühlen sich in erster Linie als Flamen oder Wallonen und dann erst als Belgier.

Egalitäre Flamen, hierarchisch denkende Wallonen

Dementsprechend gibt es in den verschiedenen Regionen Belgiens nach wie vor große Unterschiede in der Geschäftskultur. Flämische Unternehmen stellen sich im Gegensatz zu wallonischen Unternehmen beispielsweise sehr viel egalitärer dar. Entscheidungen werden hier tendenziell im Konsens zwischen oberer und mittlerer Managementebene als von einem Geschäftsführer alleine getroffen. Die Führungskräfte eines Unternehmens sind in der Regel für alle zugänglich, wobei Chef und Mitarbeiter aller Ebenen auf Augenhöhe miteinander diskutieren und gemeinsam neue Strategien entwickeln. Gleichermaßen wird auch Verantwortung durchaus nach unten delegiert. Die Flamen gelten als unkompliziert, fleißig und geschäftstüchtig.

In der wallonischen Arbeitswelt finden sich viele Ähnlichkeiten mit französischen Verhaltensmustern. Unternehmen sind hier in der Regel stark hierarchisiert, wobei die oberste Managementebene einen autoritären, sehr direkten Führungsstil verfolgt. Entscheidungen fallen eher in der Geschäftsführung, meist hinter verschlossenen Türen. Es wird nur vergleichsweise wenig Verantwortung nach unten abgegeben. Macht ist in wallonischen Unternehmen ein wichtiger Faktor, der sich deutlich in Statussymbolen wie Bürogröße, Ausstattung, Firmenwagen mit Parkplatz und der Gestaltung der Visitenkarte widerspiegelt.

Unterschiedlicher Kommunikationsstil

Im Kommunikationsstil finden sich zwischen Flamen und Wallonen ebenfalls einige markante Unterschiede. Die Flamen kommunizieren im Geschäftsleben eher informell, während die Wallonen bevorzugt formelle Kommunikationskanäle nutzen und dabei genau der im Unternehmen bestehenden Hierarchiestruktur folgen. Gleichzeitig sind die frankophonen Wallonen gesprächig und in ihrer nonverbalen Kommunikation deutlich expressiver, während die Flamen ruhig sprechen. Insgesamt wirken die Wallonen auf Deutsche offener und herzlicher, während viele Flamen etwas wortkarg erscheinen können. Allen gemeinsam ist jedoch eine sehr direkte Ausdrucksweise. In der Regel sagen Belgier gerne was sie denken, ohne um den heißen Brei herumzureden.

Auch wenn sich Englisch überall als Geschäftssprache etabliert hat, sollten Deutsche in Belgien die nach wie vor hohe Bedeutung des „Sprachenstreits“ niemals unterschätzen. Insbesondere für die Flamen ist das Sprechen der flämischen Sprache Ausdruck ihrer kulturellen Identität. Viele Flamen haben daher eine starke Abneigung gegen die französische Sprache und kritisieren die fortschreitende Frankophonisierung des Landes – insbesondere in der Hauptstadt Brüssel. Es ist also für deutsche Expats mit Französischkenntnissen empfehlenswert, mit flämischen Geschäftspartnern in erster Linie Englisch zu sprechen – und deren höchstwahrscheinlich exzellentes Französisch nicht unbedingt einzufordern.

Vorsicht mit Kritik

Deutsche dürfen in Verhandlungen mit Belgiern durchaus direkte Kritik üben – sollten diese aber trotzdem mit freundlichen Worten ummanteln. Insbesondere in Wallonien ist es wichtig, sein Gegenüber das „Gesicht” wahren zu lassen. Einige wenige konkrete Anmerkungen reichen daher meist aus, damit die geäußerte Kritik genau verstanden wird. Unangenehmen Fragen weichen frankophone Belgier hingegen gerne und vor allem sehr gekonnt aus.

Meetings und Verhandlungen

Deutsche Manager treffen bei Meetings und Verhandlungen in Flandern vor allem auf Delegationen aus Fachexperten unterschiedlicher Ranghöhe. Im Mittelpunkt der gut strukturierten Gespräche steht stets die beste Lösung für alle Beteiligten. Daher sind Flamen fokussiert und durchaus kompromissfähig. Ihr Verhandlungsstil ist nüchtern und pragmatisch.

In Wallonien sitzen deutsche Geschäftsleute meist einigen wenigen Verhandlungsführern gegenüber. Gemäß dem hierarchischen Stil in den dortigen Unternehmen sind diese ausgewählten Vertreter der oberen Managementebene mit allen Entscheidungsbefugnissen ausgestattet, so dass Verhandlungen zügig zum Abschluss gebracht werden können. Dem entgegen steht allerdings, dass hier Meetings und Verhandlungen weniger strukturiert verlaufen. Häufig müssen sich Deutsche erst an den wallonischen Verhandlungsstil gewöhnen. Denn wie ihre französischen Nachbarn führen sie gerne abstrakte Diskussionen und springen von einem Thema zum anderen, bevor sie schließlich offene Fragen und Punkte finalisieren.

In beiden Geschäftskulturen gilt jedoch, dass direkte Konfrontationen in Verhandlungen nicht gerne gesehen sind. Ein harter Verhandlungsstil mit verbalen Ausbrüchen oder indirekten Drohungen gehört ebenfalls nicht zum guten Ton der Belgier. Generell ist es daher empfehlenswert, stets guten Willen zu zeigen und dem gesunden Menschenverstand zu folgen. Differenzen werden in Belgien mit kreativen, oft überraschenden Lösungsansätzen überbrückt. Denn bedingt durch ihre ständigen nationalen Konflikte scheinen es Belgier einfach gewohnt zu sein, Kompromisse zu suchen – und vor allem auch zu finden. Auf abschlussorientiert, gradlinig denkende Deutsche kann dieses eigentlich sehr flexible Verhalten durchaus auch einmal unentschlossen und zurückweichend wirken.

Geschäftsessen haben hohe Bedeutung

Wie auch ihre niederländischen Nachbarn haben die Flamen einen großen Familiensinn – und gehen nach der Arbeit gerne früh nach Hause. Geschäftsessen am Abend sind in Flandern daher eher selten. Ein gemeinsames Mittagessen während eines Geschäftstreffens wird gerne zur Erholung genutzt, bevor man wieder an den Verhandlungstisch zurückkehrt. Daher dominiert hier meist ein freundlicher Small-Talk zur allgemeinen Unterhaltung. Die Wallonen gehen – ganz nach französischer Manier – auch abends gerne in teure Restaurants, in denen lange und ausgiebig gespeist wird. Auch hier wird wenig über Geschäftliches gesprochen. Der angenehme Verlauf des gemeinsamen Abends nimmt aber auf den späteren Erfolg der Geschäftsanbahnung einen gewissen Einfluss.

Gesprächsthemen, die die nationale Einheit zwischen Flandern und Wallonien berühren, sollten in beiden Landesteilen möglichst vermieden werden. Es wird jedoch überall in Belgien sehr geschätzt, wenn sich ausländische Geschäftspartner geografisch ein wenig auskennen und jeder Stadt/Region die richtige Sprache zuordnen können. Auch eine positive Haltung zur EU und zur Rolle Brüssels als einigende Hauptstadt bietet eine gute Grundlage für Vertrauen schaffende Gespräche während eines Geschäftsessens.

Pünktlichkeit ist wichtig

Belgier sind generell sehr pünktlich. Terminpläne und Fristen werden überaus ernst genommen und sollten daher genau definiert und eingehalten werden. Verzögerungen müssen rechtzeitig angekündigt und vor allem gut begründet werden. Deutsche haben damit eigentlich keine Schwierigkeiten. Durch die lockere Art vieler Belgier unterliegen sie jedoch manchmal der falschen Annahme, dass es ihre Geschäftspartner mit der Zeitplanung vielleicht nicht so genau nehmen.

Deutsche kommen mit Belgiern in der Regel gut klar. Dennoch ist es immer von Vorteil, sich mit den Feinheiten der jeweiligen regionalen Businesskultur näher zu befassen. Wallonen mit Franzosen und Flamen mit Holländern zu vergleichen, hilft beim Verständnis bestehender Strukturen und typischer Verhaltensmuster durchaus weiter. Aber nichtsdestotrotz gilt es, beide Kulturkreise in ihren Besonderheiten wahrzunehmen.

Autorin: Katrin Koll Prakoonwit – Bevor sie sich als Journalistin selbständig machte, schrieb Katrin Koll Prakoonwit Länderanalysen für die FAZ. Heute arbeitet sie für Publikationen verschiedener Beratungsunternehmen und Verlage. Frau Koll Prakoonwit lebt in Reading, Berkshire, bei London.

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Über den Autor

Steffen Henkel

Geschäftsführender Gesellschafter der Crossculture Academy

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