Chaos pur! Um Himmels willen, was ist da los? So ist die Stimmung ein paar Stunden vor Messeeröffnung. Wir Aussteller hatten die Möglichkeit, uns am Nachmittag vor Messebeginn zu registrieren und den Stand vorzubereiten. Soweit die Theorie.
Die Registrierung klappte. Wunderbar, Haken dran. Den Stand zu dekorieren – ein Ding der Unmöglichkeit. Es wurde noch gesägt, gestrichen und gelötet, große Rollen an Kabel verlegt. Die Stände im Rohbau. Gerüste standen im Weg. Vom Teppichboden fehlte jede Spur. Ein beißender Geruch aus Farben füllte die Halle, dazu ohrenbetäubender Baulärm.
Hunderte von Arbeitern wuselten herum, schufteten und machten das Unmögliche dann irgendwie möglich. Jugaad! Heißt das indische Zauberwort dafür, in letzter Sekunde für ein Wunder sorgen.
Wer zum ersten Mal auf einer Messe in Indien ausstellt, dem stockt bei diesem Anblick der Atem. O Gott, was geht da ab. Das klappt ja nie. Indienkenner lassen sich davon nicht mehr aus der Ruhe bringen. Sie haben die Erfahrung gemacht, dass am Ende alles irgendwie gut ausgeht.
Zielerreichung auf unterschiedlichen Wegen
Indien denkt vom Ziel her. Dieses gilt es zu erreichen. Dafür wird alle Anstrengung auf sich genommen. Nachtschichten wie im Falle der Messe inklusive. Das Ziel vor Augen werden die Ärmel hochgekrempelt und angepackt.
Wir hingegen machen als erstes einen Plan, wie wir unser Ziel erreichen. Schritt für Schritt, ganz genau überlegt und durchgetaktet. Wir rechnen mit Unwägbarkeiten und bauen Puffer ein, sollte was Unerwartetes dazwischen kommen.Wir gehen es strukturiert an, definieren Meilensteine und Etappenziele. So gehen wir auf Nummer sicher, unser Ziel zu erreichen. In unseren Augen ist das effizient. „It is the German way of getting things done!“
Indien ist da anders. Das Dazwischen ist nicht so wichtig. Wenn das Ziel klar ist, dann weiß doch jeder, was zu tun ist. Warum soll da alles Mögliche eingeplant werden, was sein könnte, aber nicht sein muss. Irgendwie kommt es ja doch immer anders. Wichtig ist nur, dass am Ende alles klappt.
Auf kulturell bewährtes Handeln vertrauen
Ihr Ziel erreichen beide: Deutsche wie Inder. Nur anders eben.
Zu den deutschen Kulturstandards gehört Struktur, Ordnung, Gründlichkeit, planvolles Handeln. All das, um auf Nummer sicher zu gehen und vor unliebsamen Überraschungen gefeit zu sein.
Die indische Kultur jedoch hat andere Stärken. Sie geht viel flexibler mit kurzfristigen Änderungen um, hat ein entspannteres Verhältnis zu Unwägbarkeiten und ist in höherem Maße anpassungsfähig. Wenn sich in letzter Sekunde etwas ändert, ist das kein Drama, sondern Standard. Das wirft niemanden aus der Bahn.
Begründet sind diese unterschiedlichen kulturgeprägten Verhaltensmuster in verschiedenen Erfahrungen. Die Umstände machen es aus.
Tendenziell ist bei uns der Erfolg größer, wenn wir planvoll-strukturiert vorgehen. Wir können das tun, weil in unserer Umgebung mehr Planungssicherheit herrscht. Die Koordinaten sind zuverlässiger, die Situationen berechenbarer.
In Indien hingegen ist aus unserem Blickwinkel eher alles chaotisch. Der Straßenverkehr ebenso wie das Gedränge vor Fahrkartenschaltern oder auch das Arbeiten. Indien ist hochgradig flexibel und passt sich ganz schnell an die jeweiligen Gegebenheiten an. Wer das nicht kann, macht eine Bruchlandung.
Es sind zwei verschiedene Verhaltensmuster, die zum Erfolg führen. Planen oder scheinbar einfach drauf los: Kein kulturelles Prägemuster ist besser, keines schlechter. Nur anders.
Die Messe konnte pünktlich ihre Türen öffnen und die Besucher in vollem Glanz empfangen. Hätte man es „100% the German way“ gemacht, hätte mit hoher Wahrscheinlichkeit nichts geklappt.
Damit man in Indien in einer Situation wie der beschriebenen Messe nicht an den Rand eines Nervenzusammenbruchs kommt, muss man die kulturellen Unterschiede kennen und darauf vertrauen, dass kulturell bewährtes Handeln zuverlässig funktioniert.