Eine kurzfristige, personenorientierte Kommunikation ist für den Projekterfolg in Polen viel wichtiger als das Erreichen geplanter Meilensteine.
Was in der Projektzusammenarbeit mit polnischen Unternehmen auf den ersten Blick auffällt, sind das Improvisationstalent und der optimistische Glaube, dass alle Aufgaben erfolgreich bewältigt werden können. Projekte werden bis zur letzten Minute angepasst, da stets Veränderungen auftreten. Statt einem konstant gleichbleibenden Arbeitstempo erfolgt deshalb just in time der volle Einsatz.
Im Projektmanagement kann es jedoch schnell zu Missverständnissen kommen, wenn die von Ihnen anvisierten Meilensteine, die Sie in einer bestimmten Reihenfolge für selbstverständlich halten, in Polen kaum beachtet werden. Kommunizieren Sie Ihre Unsicherheit, bevor die Situation eskaliert. Fragen Sie nach, wenn einzelne Schritte nicht befolgt wurden. Vereinbaren Sie Fristen gemeinsam.
Vor allem gilt jedoch: Nehmen Sie nicht jeden einzelnen neuen Änderungsvorschlag Ihrer polnischen Projektpartner für bare Münze. Sie werden im Laufe des Projekts mehrere Ideen hören und mit zahlreichen Verbesserungsvorschlägen überrascht werden. Haben Sie immer ein offenes Ohr für die dahinterstehenden Innovationen, aber besprechen Sie mit Ihren polnischen Partnern sofort, was sich in der Realität umsetzen lässt und welche Ideen zu aufwendig wären.
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Mehr Regeln helfen nicht
Das im deutschsprachigen Arbeitsleben bevorzugte strukturelle Denken erfordert eine ständige Konzentration. Bei polnischen Projektpartnern und Mitarbeitern ist jedoch die Fähigkeit, sich auf eine Sache zu fokussieren, eher schwach ausgeprägt. Im Gespräch werden sie von einem Thema zum anderen springen und ihre Angaben häufig mit dem Wort ›ungefähr‹ versehen.
Bestehen Sie nicht darauf, dass die von Ihnen vorgeschlagenen Strukturen eins zu eins umgesetzt werden. Der Umgang mit Regelsystemen ist in Polen flexibel. Ein Beharren auf festen Strukturen und Regeln wirkt auf polnische Projektpartner nicht professionell, sondern kleinkariert. Zudem mag einiges in der polnischen Realität nicht umsetzbar sein.
Manchmal kommt eine Trotzreaktion hinzu, nach dem Motto ›Wir wissen doch besser, wie es hier gemacht wird‹. Polnische Projektmitarbeiter werden außerdem selten zugeben, dass sie etwas in Bezug auf den Projektverlauf nicht verstehen oder nicht wissen. Entwickeln Sie daher ein Fingerspitzengefühl dafür, wann Sie etwas genauer erklären sollten, ohne auf der anderen Seite den Eindruck zu erwecken, dass Sie alle belehren möchten.
Der flexible Umgang mit Regeln hat wenig mit Sprunghaftigkeit zu tun, wie dies häufig von deutschsprachigen Partnern falsch interpretiert wird. Es ist eher eine Überlebensstrategie, die in der polnischen Geschichte verankert ist. Planungen für die Zukunft waren während der Besatzungszeiten sinnlos, weil niemand wusste, was der nächste Tag bringt. Die skeptische Einstellung gegenüber detaillierten Plänen ist bis zum heutigen Tag sehr präsent. Zumal sich vieles im Land nach wie vor ändert. Die Komplexität der polnischen Realität und die ständigen Veränderungen tragen dazu bei, dass Ihre polnischen Projektpartner Ihre lineare, strukturierte Handlungsweise kaum nachvollziehen können und diese als für die polnische Geschäftswelt unpassend wahrnehmen.
Es dominiert die Kurzzeitorientierung: Wenn die Umsetzung eines Plans zu lange dauert oder der Plan mit den aktuellen Gegebenheiten nicht mehr übereinstimmt, weichen Polen davon ab und strukturieren den Plan neu.
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Kommunikation ad hoc
Vor dem historischen Hintergrund ist es enorm wichtig, dass Sie mit Ihren polnischen Projektpartnern auf Augenhöhe kommunizieren, sie als gleichwertig behandeln und bei ihnen nicht das Gefühl erwecken, dass sie sich anpassen müssen. Darüber hinaus sollten Sie Ihre polnischen Partner nicht ausschließlich als Fachleute im beruflichen Kontext wahrnehmen, sondern vor allem als Menschen betrachten, deren Individualität Sie zu schätzen wissen.
Der Begriff ›Individualität‹ wird allerdings im deutschsprachigen Raum und in Polen jeweils unterschiedlich verstanden. Während im ersten Fall Selbstbewusstsein und Durchsetzungsvermögen im Fokus stehen, wird in Polen die Aufmerksamkeit nicht auf die eigene Person, sondern auf die Mitmenschen gerichtet.
Aus diesem Grund werden polnische Mitarbeiter Fragen und Unklarheiten, die in der Projektarbeit entstehen, ad hoc mit anderen teilen, um gemeinsam Antworten zu finden. Die entsprechende Hilfsbereitschaft ist dabei selbstverständlich, weil polnische Mitarbeiter Unterbrechungen während ihrer Arbeit gewohnt sind und es vermeiden, andere zu verletzen, indem sie ihnen ihre Unterstützung verweigern.
Deshalb ist es auch für Sie ratsam, bei Fragen und Bitten um Unterstützung sofort zu agieren, anstatt Termine für Besprechungen zu arrangieren. So zeigen Sie Ihren Projektpartnern, dass ihre Anliegen Priorität genießen. Sie bauen nach und nach mehr Vertrauen auf.
Stimmt die Beziehungsebene, können Sie wie Ihre polnischen Partner auch auf der zwischenmenschlichen Ebene kommunizieren und argumentieren: ›Tu es bitte für mich.‹ Diese Aussage verdeutlicht am besten die personenbezogene Emotionalität der Polen in der Projektzusammenarbeit.
Kritische Punkte diplomatisch ansprechen
Möchten Sie kritische Punkte ansprechen, sollten Sie beachten, dass zwischen Kritik an der Sache und der Person nicht unterschieden wird. Die Emotionen Ihrer polnischen Partner kochen schnell hoch, wenn sie sich in ihrer Würde verletzt fühlen. Ihr Schweigen ›kommuniziert‹, dass es zum Abbruch der interpersonellen Interaktion gekommen ist.
Wenn also Ihre polnischen Projektpartner nicht mehr auf Ihre Anrufe reagieren und Ihre E-Mails nicht beantworten, können Sie sicher sein, dass es zur Eskalation eines Missverständnisses gekommen ist. Um dieses so schnell wie möglich aus der Welt zu schaffen, sollten Sie nachfragen. Versuchen Sie zu erklären, dass man in den deutschsprachigen Ländern zwischen Kritik an der Person und an der Sache unterscheidet und Sie ihre Gefühle nicht verletzen wollten.
Denken Sie auch daran, dass in Polen nicht das Erledigen von dringenden Aufgaben, sondern die Unterstützung der Menschen bei ihrer Arbeit höchste Priorität hat.
Grundsätzlich gilt, dass Sie für eine gelungene Projektkommunikation regelmäßig zum Telefonhörer greifen und nicht nur das Projekt besprechen, sondern sich auch nach dem Wohlbefinden Ihrer Partner erkundigen sollten. So erreichen Sie mehr, als wenn Sie lange E-Mails mit diversen Anhängen verschicken.
Informationsfluss auf informeller Ebene
Information ist Macht. Für die gemeinsame Projektarbeit ist es daher wichtig zu wissen, dass der Informationsfluss in polnischen Unternehmen ganz anders gestaltet wird, als es in den deutschsprachigen Ländern der Fall ist. Vor allem werden auch wichtige Informationen in informellen Situationen ausgetauscht. Wenn also die Beziehung auf der zwischenmenschlichen Ebene nicht stimmt, ist man automatisch von diesem Informationsfluss ausgeschlossen.
Weiterhin sollten Sie beachten, dass viele Informationen nicht weitergegeben werden, weil sie Konfliktpotenzial bergen und die gute Atmosphäre gefährden könnten. Das Lesen zwischen den Zeilen gehört in Polen zur Kommunikation mit dazu genauso wie es im deutschsprachigen Raum üblich ist, die wichtigsten Informationen direkt ‒ auch wenn sie unangenehm sind ‒ zu verkünden. Mit der Zeit werden Sie ein Gefühl dafür entwickeln, wann Sie nachfragen sollten, um auch die schlechten Nachrichten zu erhalten.
Besonderheiten der polnischen E-Mail-Kultur
Und noch etwas sollten Sie beachten. Die E-Mail-Kultur in vielen polnischen Firmen lässt nur selten das Setzen von Kollegen in CC zu. Denn wenn ein Anliegen wichtig ist, soll man sich damit an die konkrete Person wenden, damit sie sich dafür verantwortlich fühlt. Werden die E-Mail-Adressen mehrerer Personen in CC gesetzt, erweckt dies in erster Linie ein Gefühl von mangelndem Vertrauen.
Häufig werden lange E-Mails auf der polnischen Seite erst dann ernst genommen, wenn sie von einem Telefonanruf angekündigt worden sind und nach Erhalt ein erneutes Telefongespräch folgt. Die flankierenden Anrufe zusätzlich zu einer E-Mail werden in Polen nicht als störend empfunden, sondern als Zeichen dafür gewertet, dass das Anliegen höchste Priorität genießt und Sie Ihre Wertschätzung zum Ausdruck bringen.
Denken Sie in der gemeinsamen Projektarbeit daran, dass es vor allem an Ihnen liegt, sich zu informieren und den Stand der Dinge zu erfragen. Die Holschuld im Projektmanagement ist mit Supervision verbunden. Erkundigen Sie sich, ob alles richtig verstanden wurde, bevor Sie etwas in Auftrag geben. Telefonkonferenzen oder Internetplattformen, bei denen alle Zugriff auf die gleichen Dokumente haben, unterstützen den Informationsfluss ebenfalls.
Termine auf den letzten Drücker
Fristen und Termine werden Ihre polnischen Projektpartner in der Regel einhalten, allerdings nicht selten erst in letzter Minute fertig werden. Multitasking und Improvisationstalent prägen den Arbeitsstil vieler Polen. Die mangelnde Strukturierung der Arbeitsabläufe wird von einer hohen Motivation und Flexibilität ersetzt.
Kommunizieren Sie deshalb, wie wichtig es Ihnen ist, Fristen einzuhalten. Weil Ihre polnischen Kooperationspartner die Meilensteine des Projekts nicht vor Augen haben, nehmen sie Deadlines nicht so ernst wie Sie es tun. Erzeugen Sie das Gefühl, dass alle im gleichen Boot sitzen. Manchmal bietet es sich an, Fristen für die polnischen Partner nach vorne zu ziehen. Dann können Sie sicher sein, dass zu Ihrem gewünschten Termin alles erledigt ist.
Wenn zwischen Projektanfang und Endtermin ein längerer Zeitraum liegt, erkundigen Sie sich regelmäßig, am besten per Telefon, wie der Stand der Dinge ist. So signalisieren Sie Ihren Geschäftspartnern, dass das Anliegen für Sie sehr wichtig ist. Da der menschliche Aspekt in Polen die größte Rolle spielt, vermeiden Sie damit auch die ungewollte Entwicklung, dass Ihr Projekt aus dem Blickfeld verschwindet und wegen vermeintlich wichtigeren Sachen nach hinten geschoben wird.
Geraten Sie jedoch nicht in Panik, wenn etwas nicht richtig zu funktionieren scheint. Denken Sie daran, dass viele Polen am besten und effektivsten unter Zeitdruck arbeiten und es gewöhnt sind, Fehler und Probleme kurz vor Schluss zu beheben. Ihr Zeitverständnis ähnelt einer Spirale: Problematische Themen kehren immer wieder, werden aber erst am Ende angegangen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass man sich noch keine Gedanken dazu gemacht hat. Die goldene Regel ist, dass nicht der Arbeitsstil (›flexibel‹ versus ›strukturiert‹) und auch nicht das Zeitverständnis (›in letzter Minute‹ versus ›laut Plan‹) für den Erfolg entscheidend ist, sondern das Endergebnis.
Versuchen Sie, sich weniger dafür zu interessieren, wann und wie es die polnischen Kollegen hingekriegt haben, sondern mehr dafür, dass das Resultat zu Ihrer Zufriedenheit ist.
Autorin: Johanna Sell – Johanna Sell stammt aus Polen und ist interkulturelle Trainerin. Sie ist spezialisiert auf die interkulturelle Sensibilisierung im europäischen Raum. Darüber hinaus ist sie Autorin und gibt Vorlesungen an der Leibniz Universität in Hannover und Hildesheim.