Der italienische Ausdruck „la bella figura“ lässt sich für den Augenblick mit „eine gute Figur machen“ übersetzen. Und er bezieht sich in der Tat auf das Äußere einer Person, auf modische Kleidung, ein gepflegtes Erscheinungsbild, gutes Benehmen und eine insgesamt positive Selbstdarstellung.
Eine gute Figur zu machen, ist in Italien zudem nicht nur den Reichen, Erfolgreichen und berühmten Persönlichkeiten vorbehalten. Unabhängig von sozialer Schicht, Alter, Einkommen und beruflicher Position versucht jeder Italiener, das Beste aus sich zu machen. Das Bella-figura-Prinzip dient sogar in einem gewissen Sinne der sozialen Nivellierung: Weil sich selbst der Ärmste im Rahmen seiner Möglichkeiten geschmackvoll anzieht, sieht man ihm die Zugehörigkeit zu einer benachteiligten Schicht nicht unbedingt an. Die italienische Hausangestellte ist in der Lage, sich wie ihre feine „signora“ zu kleiden, ohne künstlich aufgetakelt zu wirken. Und alle italienischen Kinder sind in ihrer meist dunkelblauen Schuluniform mit strahlend weißem Shirt und Socken jeden Tag fein angezogen.
Gute Optik und Sauberkeit
Genauso bezieht sich la bella figura auf Objekte, seien es teure Designstücke oder einfache Gegenstände des täglichen Lebens. Die Dinge samt ihrer Verpackung und Präsentation müssen für Italiener gut aussehen, unabhängig davon, ob sie billig oder von hoher Qualität sind. Sie werden nicht darüber hinwegsehen, wenn die Optik eines an sich guten Produktes nicht ihren Ansprüchen gerecht wird. Genauso ist Sauberkeit ist ein Aspekt der bella figura. Italiener geben weltweit am meisten für Reinigungsmittel aus!
Der negative Gegenpol zur bella figura ist die „brutta figura“. Eine „hässliche Figur“ macht, wer nicht auf sein Äußeres achtet oder wer sich unhöflich verhält. Viele Italiener schämen sich, wenn Politiker durch ihr fragwürdiges Verhalten dem öffentlichen Ansehen Italiens schaden oder auch wenn die italienische Fußballnationalmannschaft schlecht gespielt hat. Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens werden in den italienischen Medien genau unter die Lupe genommen, ob sie gerade eine bella oder brutta figura machen.
Das Gesicht wahren
Das Prinzip der bella figura geht jedoch bei näherer Betrachtung weitaus tiefer, als man auf den ersten Blick vermuten würde. Man könnte es vielleicht sogar als die italienische Variante des asiatischen Gesichtwahrens bezeichnen. So gilt es für den Einzelnen, nicht nur selbst jederzeit und überall eine gute Figur zu machen. Er ist auch dafür verantwortlich, dass sein Gegenüber seine bella figura aufrechterhalten kann.
Wer also beispielsweise einen Mitarbeiter vor versammelter Mannschaft kritisiert und damit bloßstellt, macht durch sein unsensibles Verhalten brutta figura. In Italien wird nur bedingt zwischen Sach- und Beziehungsebene unterschieden. Sachlich gemeinte Kritik wird also immer auch auf persönlicher Ebene zu Buche schlagen und der bella figura aller Beteiligten schaden – demjenigen, der kritisiert wird, genauso wie demjenigen, der die Kritik ausübt.
Bella figura im beruflichen Alltag
Das Prinzip der bella figura bedeutet im geschäftlichen Alltag für einen respektvollen und höflichen Umgang miteinander zu sorgen, sei es im Meeting, in der täglichen Zusammenarbeit oder in harten Verhandlungsgesprächen. Gegenseitige Wertschätzung, Etikette und gutes Benehmen sind in der italienischen Geschäftskultur Pflicht. Direkte Konfrontationen werden vermieden, jeder verhält sich stets diplomatisch. Auch Ungeduld ist als schlechte Eigenschaft verpönt.
Es ist also kontraproduktiv, italienische Geschäftspartner unter Druck zu setzen, auf eine schnelle Entscheidung oder einen raschen Geschäftsabschluss zu pochen oder gar Verhandlungstricks anzuwenden, die die andere Seite in Zugzwang bringen. Das alles macht brutta figura, über die italienische Geschäftspartner nicht hinwegsehen werden.
Harmonisches Miteinander
Stattdessen möchten Italiener eine Atmosphäre schaffen, in der sich alle Geschäftspartner wohlfühlen. Jeder soll sich sicher sein können, dass die anderen ihn nicht in die Ecke treiben oder in Verlegenheit bringen. Wenn auch nicht so ausgeprägt wie in Asien, so ist es bei der italienischen Interaktion im Business wichtig, dass jeder sein Gesicht wahren kann und für alle eine Win-Win-Situation angestrebt wird.
Bei Geschäftsterminen mit Italienern sollten Sie also darauf achten, in jeglicher Hinsicht bella figura zu machen. Angefangen bei Ihrem äußeren Erscheinungsbild und Ihren guten Manieren über eine stilvolle Präsentation Ihrer Produkte und Dienstleistungen bis hin zur Ausarbeitung einer Kooperation, die alle Beteiligten in einem guten Licht erscheinen lässt.
Autorin: Katrin Koll Prakoonwit – Bevor sie sich als Journalistin selbständig machte, schrieb Katrin Koll Prakoonwit Länderanalysen für die FAZ. Heute arbeitet sie für Publikationen verschiedener Beratungsunternehmen und Verlage. Frau Koll Prakoonwit lebt in Reading, Berkshire, bei London.