Kulturelle Unterschiede Tadschikistan

Kulturelle Unterschiede Tadschikistan 300x200 1
Kulturelle Unterschiede Tadschikistan 2

Das kleinste der zentralasiatischen Länder übt einen besonderen Reiz aus, der durch geografische, historische und kulturelle Spannungsfelder entsteht. Als Nachbar- und Transitland des politisch instabilen Afghanistans und als wirtschaftlich ärmstes jedoch an Wasser reichstes Land der Region, in persischer Tradition mit turkstämmigen Nachbarn und sowjetischer Vergangenheit muss Tadschikistan einen andauernden wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Spagat leisten. Daneben bietet Tadschikistan eine atemberaubende Natur, die touristisch-wirtschaftliches Potenzial in sich trägt, fernab vom Massentourismus.
Tadschikistan ist auch nach 20 Jahren Unabhängigkeit insbesondere im administrativen Bereich in der Tradition des Sowjetsystems verwurzelt. So müssen für jeden Vorgang und für jeden Vertrag mit einer staatlichen Behörde oder einem eng an staatliche Strukturen gebundenen Unternehmen Anträge und verschiedene Formulare, die teilweise noch aus Sowjetzeiten stammen, beigebracht werden. Das kann für deutsche Unternehmer mitunter nervenaufreibend und zeitintensiv werden. Dem gegenüber steht jedoch eine interessiert-freundliche Neugier gegenüber ausländischen Gästen. Diesen Status verlieren Ausländer in Tadschikistan auch nach zahlreichen Jahren nicht.

Der Chef hat immer Recht – Hierarchien

Eine starke Ausprägung des hierarchischen und Obrigkeitsdenkens bestimmt das tadschikische Geschäftsleben. Daneben besteht eine sogenannten „Face“-Kultur: Das eigene Ansehen wie auch das Ansehen des Gegenüber müssen in jedem Fall gewahrt bleiben. „Der Chef hat immer Recht, auch wenn er augenscheinlich nicht Recht hat.“ Diese Haltung hat zur Konsequenz, dass Untergebene Anweisungen ausführen ohne deren Sinn, oder manchmal auch Unsinn, genauer zu hinterfragen. Die bestehenden Hierarchien können sich dabei aber immer wieder neu aufspalten. So kann der Untergebene des Abteilungsleiters als Leiter einer Kleinstarbeitsgruppe dort wiederum ganz oben in der Hierarchie stehen und ein dementsprechendes Ansehen genießen.
Oft sind diese hierarchischen Geschäftsstrukturen für Außenstehende nur schwer einzusehen, da neben einer offensichtlichen hierarchiegebenden Position auch soziale Strukturen Einfluss darauf haben. Ein partizipativer Führungsstil kann bei den Untergebenen zu Verwirrung führen oder der Führungskraft als Schwäche ausgelegt werden. Werden Untergebene dagegen konsequent in Entscheidungen eingebunden und hilft ihnen ihre Führungskraft durch eine konsequente Arbeitsanleitung über die erste Verwirrung und Unsicherheit hinweg, kann sich eine starke Loyalität zur Führungskraft wie auch zum Unternehmen entwickeln. Tragender Faktor ist dabei die durch die Partizipationsmöglichkeit empfundene Wertschätzung. Die Erwartung an die Führungskraft ist dabei nicht nur rein fachlicher Natur, sondern auch emotional geprägt. Dies bedeutet, dass auch persönliche Angelegenheiten an sie herangetragen werden können. Ein Aspekt, welcher zudem durch die starke Orientierung an sozialen Beziehungen verstärkt wird.

Persönliche Beziehungen als Basis der Geschäftstätigkeit

Auf ähnliche Weise kann eine mündliche Absprache zwischen zwei Vertragspartnern, die eine feste persönliche Beziehung aufgebaut haben und damit eine soziale Verpflichtung eingegangen sind, mitunter mehr Gewicht haben als ein schriftlicher Vertrag. Dennoch sollte auf einen Vertrag nie verzichtet werden. So wunderbar jedoch der Aspekt der persönlichen Beziehung zum Geschäftspartner auch klingen mag, so schwierig ist es, eine wirklich stabile Geschäftsbeziehung aufzubauen. Die immerwährende Gastfreundlichkeit lässt schnell über eine Missstimmung auf Geschäftspartnerseite hinwegtäuschen.

Korruption die Stirn bieten

Ein weiterer, nicht zu unterschätzender Faktor in der tadschikischen Geschäftskultur ist die Erwartung von kleinen oder auch größeren Geschenken – freiwillig oder unfreiwillig zu geben. Ganz den Bemühungen der tadschikischen Regierung folgend, die eine offensive Werbekampagne gegen Korruption gestartet hat, sollte diesem Verhalten bewusst entgegengetreten werden. Eine gute Hilfe bietet dabei ein stabiles Netzwerk tadschikischer Bekannter, die aufgrund ihrer Verwurzelung in der Kultur oft mehr erreichen als der immer ein wenig außerhalb stehende ausländische Gast. Korruption ist ein Faktor, den man im Hinterkopf behalten sollte, der aber nicht zu einem Misstrauensvorschuss gegenüber tadschikischen Geschäftspartnern führen sollte. Denn damit würde man dem großen Teil der Bevölkerung Unrecht tun.

„So Gott will, komme ich morgen“ – Zeitverständnis

Tadschiken haben ein Zeitverständnis, das stark von dem der deutschen Kultur abweicht und mitunter ein erhöhtes Maß an Geduld erfordert. Mit Zeit wird gespielt. Zeit wird als dehnbarer Rahmen zur Orientierung verstanden, nicht jedoch als verbindliche Richtschnur. Besonders im privaten Bereich bzw. im informellen Sektor kann die Zusage einer Person, in zwei Stunden zu kommen, die Bedeutung haben, sie kommt bereits nach 10 Minuten oder erst nach zwei Tagen oder manchmal auch gar nicht. Besonders im Norden des Landes wird man sehr oft bei einer Verabredung oder der Zusage, etwas zu erledigen, den Zusatz „so Gott will“ hören. Meist ist dies ein deutliches Zeichen dafür, dass man aus Gründen des Gesichtswahrens kein klares „Nein“ sagen möchte. Aber Überraschungen gibt es auch diesbezüglich immer wieder.

Im geschäftlichen Bereich sind Zusagen meist verbindlicher, was aber nicht bedeutet, dass Geschäftstreffen immer pünktlich beginnen. Oft lässt man auch zur Demonstration von Macht den Geschäftspartner bewusst warten.

Tadschiken sind Meister darin, Tätigkeiten parallel auszuführen. Dies bedeutet beispielsweise, dass beim Kundenservice zwei Kunden gleichzeitig betreut werden oder während eines Meetings Telefongespräche angenommen und im Konferenzraum weitergeführt werden. Für Deutsche kann das schnell zu Verwirrung und Frust führen, wenn sich ihr Geschäftspartner mitten im Gespräch jemand anderem zuwendet. Dennoch sollte dieses Verhalten, zumindest in den meisten Fällen, nicht als mangelnder Respekt gewertet werden.

Meetings sind in tadschikischen Unternehmen oft lang und wirken auf Deutsche unstrukturiert. Neben dem fachlichen Austausch erfüllen sie zudem auch Zwecke der Machtdemonstration im Hierarchiegefüge oder des Beziehungsaufbaus. Ein Grund, weshalb Coffeebreaks äußerst beliebt sind.

Soziale Beziehungen bilden die Basis

Die tadschikische Kultur ist sehr stark auf sozialen Beziehungen aufgebaut. Kein Geschäft wird erfolgreich zum Abschluss geführt, wenn diese Komponente nicht berücksichtigt worden ist. Dies bedeutet, dass bereits vor Vertragsabschlüssen oder Geschäftsvorgängen eine soziale Beziehung aufgebaut werden muss. Im Minimalfall heißt das, dass bei der gegenseitigen Begrüßung intensiv nach dem Wohlergehen des Gegenübers gefragt wird – eine Angelegenheit von mitunter mehreren Minuten, bei der sich die Fragen auch gerne wiederholen dürfen.

Die tadschikische Kultur ist sehr herzlich und Tadschiken bezeichnen sich selbst als mehmondust, gästeliebend. Dies zeigt sich im privaten, aber auch im geschäftlichen Rahmen. Allerdings ist hier ausschlaggebend, wie sehr das Unternehmen staatlich angebunden ist. Je weiter ein Unternehmen im privatwirtschaftlichen Sektor angesiedelt ist, desto stärker wird die Gastfreundschaft ins Spiel gebracht. Dies kann für den ungeübten Tadschikistanreisenden schnell als anstrengend empfunden werden. Aber es bietet auch die Möglichkeit, Land und Leute kennenzulernen.

Autorin: Annett Leuteritz

Teilen Sie diesen Beitrag

Interessiert an weiteren Informationen oder Fragen zum Thema?

Über den Autor

Steffen Henkel

Geschäftsführender Gesellschafter der crossculture academy

Ähnliche Beiträge

Interessiert am crossculture Newsletter?

Sind Sie neugierig? Abonnieren Sie hier!

Subject Topics Newsletter GERMAN