Kulturelle Unterschiede Norwegen

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Auf den ersten Blick scheinen die Unterschiede zwischen Deutschen und Norwegern gar nicht so groß zu sein. Da sind die gemeinsamen germanischen Wurzeln, das europäische Kulturbild und ein ähnlicher Lebensstandard. Spätestens nach der ersten Unterhaltung, dem ersten Geschäftsessen oder bei beginnenden Verhandlungen wird aber schnell klar, dass sich nicht alles eins zu eins übernehmen lässt, was man aus Deutschland gewohnt ist.

Gelassene Grundhaltung

Zum einen stellt das norwegische Gleichheitsprinzip das starre deutsche Hierarchiedenken vor neue Herausforderungen. Zum anderen gibt es diese gelassene Grundhaltung, ›Ta det med ro‹ ‒ ›Nimm’s gelassen‹, die wir Deutschen zwar immer wieder gerne bewundern, wenn es allerdings ums Geschäft geht, eher skeptisch beäugen. Genauso wie die Tatsache, dass für Norweger Freizeit und Familie ebenso wichtig sind wie ihre Arbeit. So wichtig, dass man Besprechungen fast niemals auf den späten Nachmittag legen würde. Schließlich nicht zu vergessen, diese fast schon beunruhigend entspannte Herangehensweise bei auftauchenden Problemen: ›Alt vil ordne seg.‹ ‒ ›Es wird schon alles gut werden.‹

Auf sprachliche Fallstricke achten

Auch auf sprachlicher Ebene besteht leicht die Gefahr, wegen vermeintlicher Ähnlichkeiten die zahlreichen Fallstricke zu übersehen, die sich in einer Unterhaltung spannen. In den sechziger und siebziger Jahren sprachen viele Norweger zusätzlich zu Englisch auch sehr gut Deutsch. Viele hatten in einem deutschsprachigen Land studiert und beruflich oder familiär auch über den Auslandsaufenthalt hinaus noch gute Verbindungen dorthin. Diese Zeiten sind vorbei, weil spannendere Studienorte wie Australien, die USA oder Großbritannien locken, Englisch als einfacher und Spanisch als hipper unter den jungen Leuten gilt.

Sie sollten sich also darauf einstellen, mit Norwegern auf Englisch zu kommunizieren, obgleich es sicher nicht schaden kann, wenn die Konversation mit ein paar norwegischen Worten gewürzt wird, allein schon um die Stimmung zu lockern und den Gesprächspartner positiv zu stimmen.

Einen guten ersten Eindruck machen

Im Prinzip müssen Sie als Besucher aus Deutschland nur dem guten Ruf gerecht werden, der Ihnen in Norwegen vorauseilt. Norweger bringen Deutschen grundsätzlich eine gewisse Sympathie entgegen, sie schätzen ihr strukturiertes Arbeiten, ihre Pünktlichkeit, Seriosität und Zielstrebigkeit.

Nutzen Sie diesen Vorsprung, indem Sie dieses positive Klischee bedienen und es noch dazu mit einer dezenten Zurückhaltung kombinieren. Dann hinterlassen Sie nach Ihrem ersten Besuch einen guten Eindruck. Zu den negativen Eigenschaften, die man Deutschen unterstellt, zählen nämlich lautes Auftreten, Arroganz und Überheblichkeit.

Zeigen Sie sich begeistert von Land und Leuten, man wird darauf mit Stolz, Freude und nicht zuletzt auch aufgeschlossener reagieren.

Fraglich ist, ob die Norweger in Gesprächen einen guten Eindruck auf Sie machen werden? Vielleicht nicht unbedingt. Sie sollten daher wissen, was Sie in Norwegen nicht erwarten dürfen.

Norweger übernehmen in Unterhaltungen zunächst eher den passiven Part. Die Initiative zum Gespräch wird daher meist von Ihnen ausgehen.

Zur Begrüßung reicht man sich die Hand, ansonsten wird jedoch auf körperliche Distanz geachtet. Am Besprechungstisch wird es keine Sitz- oder Rangordnung geben. Stehen die Getränke nicht auf dem Tisch, sondern etwas abseits, ist es kein Problem, sich mit einem kurzen Hinweis selbst zu bedienen. Im Übrigen wird in Norwegen sehr viel Wert auf Selbstständigkeit gelegt. Ihre Gesprächspartner gehen davon aus, dass Sie es sich schon bequem machen werden, sie sind nicht um Ihr Wohlergehen bemüht. Des Weiteren setzt man ein gewisses Maß an Flexibilität voraus.

Beachten Sie auch, dass die Kleidung Ihrer norwegischen Gesprächspartner keine Hinweise auf ihre Position oder Kompetenz gibt.

Alle sind per du

Üblicherweise duzt man sich in Norwegen. Bei der Kommunikation in englischer Sprache ist dieser Aspekt zweitrangig, allerdings sollten Sie das im Hinterkopf behalten, falls Sie sich mit Norwegern auf Deutsch unterhalten.
Duzen lässt keine Rückschlüsse darauf zu, ob man sich nahesteht und eventuell sogar befreundet ist. Norweger können sich duzen und trotzdem Distanz wahren. Es ist somit auch weder ein Zeichen von mangelndem Respekt noch sollte Duzen als Beginn einer aufkeimenden Freundschaft gewertet werden. Duzen ist vielmehr im Sinne des Gleichheitsprinzips, nach dem Motto ›Wir sind alle gleich‹, zu verstehen.

Wenn Sie sich vorstellen, tun Sie das mit Ihrem vollen Namen und lassen Sie mögliche Titel weg. Das schafft Vertrauen und bietet zu einem späteren Zeitpunkt die Möglichkeit, zum lockeren Du zu wechseln.
Norweger, die sich mit zwei Vornamen vorstellen, benutzen diese auch. Wenn Sie also einen Lars Øyvind kennenlernen, sprechen Sie ihn nicht nur mit Lars an, sein Name wäre damit nicht vollständig.

Small Talk bleibt small

›Schönes Wetter heute. Was machst du am Wochenende?‹ Etwa 90 Prozent aller Unterhaltungen in Norwegen beginnen mit diesen Worten. Für viel mehr Small Talk (småsnakke) haben Norweger nichts übrig.
Wetter und Freizeitaktivitäten, wie Skifahren, Wandern oder Bootsfahrten, sind unverfängliche Themen. Wichtig ist, dass es sich um eine möglichst neutrale Konversation handelt, die keinen Anlass für einen kontroversen Meinungsaustausch gibt.

Norweger halten nicht viel von Geplauder, wie es zum Beispiel Amerikaner gerne pflegen. Es klingt in ihren Ohren oberflächlich. Sie erwarten kurze, dafür aber ehrlich gemeinte Antworten, weshalb Ausländer auch immer gerne gefragt werden, wie ihnen das Land gefällt oder ob sie schon mal in Norwegen waren? Man ist sehr an Ihrer Antwort interessiert, allerdings sollte sie positiv ausfallen. Norweger lieben ihr Land und sind mit Stolz und Freude erfüllt, wenn es auch von anderen geschätzt wird.

Sie werden schnell merken, dass einem längeren Small Talk kein hoher Stellenwert eingeräumt wird, es bleibt also wenig Zeit und Gelegenheit, andere, eventuell sogar kritische Themen anzuschneiden. Reizthemen wie Walfang oder EU-Mitgliedschaft sollten Sie auch bei späterer Gelegenheit unbedingt vermeiden, wie auch Themen, die bei Norwegern ein gewisses Minderwertigkeitsgefühl hinterlassen könnten. Vor allem von Deutschland mit seiner zentralen Position in Europa und der EU fühlt man sich in Norwegen an den Rand gedrängt und oft übergangen.

Norwegischer Kommunikationsstil

Ein Deutscher und ein Norweger möchten ihre Arbeitskollegen, die 30 Meter vor ihnen auf der Straße laufen, auf sich aufmerksam machen. Was werden sie unternehmen? Ganz klar: Der Deutsche wird seine Kollegen mit lauter Stimme rufen. Der Norweger hingegen wird sein Handy zücken und einen der Kollegen anrufen ‒ oder auf die Gelegenheit der Kontaktaufnahme verzichten.

Norweger schätzen einen Kommunikationsstil, der ruhig, gemäßigt und in einer moderaten Lautstärke erfolgt. Expressive Lautäußerungen, schnelles Reden oder überschwängliche Gesten nehmen sie dagegen negativ auf. Auch jemand, der besonders viel spricht, erweckt ihr Misstrauen.

Auf Außenstehende wirkt das Kommunikationsverhalten der Norweger fast schon emotionslos, zumindest aber verschlossen und zurückhaltend. Dazu sollte man allerdings wissen, dass die norwegische Alltagssprache auf kurzen Sätzen und einem geringen Wortschatz beruht. Leichtfertiges Geplapper, Übertreibungen oder auch Ironie liegen einfach nicht in ihrer Natur.

Ebenso wenig würden Norweger andere in ihrem Redefluss unterbrechen. Sie haben auch keine Angst vor Sprechpausen. Wenn also eine Unterhaltung ins Stocken gerät, bedeutet das nicht, dass man sich nichts mehr zu sagen hat. Vielmehr formuliert Ihr norwegischer Gesprächspartner gerade in Gedanken seinen nächsten Satz aus oder lässt das eben Gesagte kurz auf sich wirken.

Norweger sind keine großen Taktiker, im Gegenteil: Ein taktisches Agieren des ausländischen Geschäftspartners können sie oft nicht nachvollziehen. Diese Eigenschaft mag für einige naiv wirken, die meisten empfinden sie jedoch als positiv, weil Norweger so als gewissenhaft und ehrlich gelten. Vor allem werden sie aber für ihre Glaubwürdigkeit geschätzt.

Kein klares Nein, kein direktes Ja

Sie werden in einer Unterhaltung mit Norwegern selten ein klares Nein hören. Norweger kommunizieren eher indirekt, eine Ablehnung würden sie nicht offen äußern. Es ist ihr Ausdruck von Respekt, schließlich möchten sie ihren Gesprächspartner nicht verletzen.

Es gibt jedoch Zeichen, an denen man eine Ablehnung erkennen kann: Hören Sie Formulierungen wie ›Det kan bli vanskelig‹, was in unseren Ohren wie ›Das könnte schwierig werden‹ klingt, können Sie davon ausgehen, dass aus der Sache nichts wird. Wenn sich Ihr norwegischer Gesprächspartner nach einem Treffen nicht von sich aus wieder bei Ihnen meldet oder Entscheidungen hinauszögert, besteht ebenfalls kein Interesse.

Norweger sind flexibler als ihre deutschsprachigen Partner, sie riskieren auch gerne mal etwas und lassen sich spontan auf neue Ideen ein, ohne alle Eventualitäten zu kennen. Wenn ihnen eine Sache zusagt, merken Sie das vor allem an interessierten Rückfragen.

In Norwegen haben Abteilungs- und Projektleiter einen großen Entscheidungsspielraum, sie müssen sich nicht mit ihrem Chefabsprechen. Dennoch beziehen viele bei wichtigen Entscheidungsprozessen ihr Team mit ein, weshalb Sie eine Zusage oft erst nach interner Absprache erhalten werden.

Aus diesem Grund werden Sie vermutlich auch nicht sofort ein direktes Ja hören, Sie können aber an Aussagen wie ›Da har vi en avtale‹ ‒ ›Da haben wir einen Deal‹ oder ›Det høres ut som en god idé‹ ‒ ›Das hört sich nach einer guten Idee an‹ ablesen, ob Ihr Gegenüber echtes Interesse zeigt.

Kritik mit Feingefühl äußern

Entstehen Probleme oder Konflikte, ist Feingefühl gefragt. Norweger meiden die offene Auseinandersetzung, ja man könnte sie sogar als konfliktscheu bezeichnen. Das ist vor allem ihrer zurückhaltenden und vorsichtigen Art geschuldet, aber auch der Tatsache, dass sie niemanden bloßstellen wollen. Eine Gesprächssituation soll für alle Beteiligten möglichst angenehm verlaufen. Niemand soll sein Gesicht verlieren. Kritik wird deshalb eher indirekt geäußert und wenn überhaupt nur an Umständen oder Prozessen festgemacht. Meist ist sie auch gleich in Verbesserungsvorschlägen und hilfreichen Tipps ›verpackt‹.

Hier versteckt sich auch einer der sensibelsten Berührungspunkte: Den direkten Kommunikationsstil von Deutschen empfinden Norweger eher als Beleidigung. Seien Sie deshalb vorsichtig mit Ihren Aussagen, vermeiden Sie es, die Dinge beim Namen zu nennen und richten Sie Ihre Kritik niemals direkt an eine einzelne Person. Jemanden vor anderen zu kritisieren, gilt als Tabu. Denken Sie daran, dass Norweger alles persönlich nehmen, offene Kritik verletzt sie unglaublich und richtet einen nicht wiedergutzumachenden Schaden an.

Wenn Sie einen Konfliktpunkt ansprechen möchten, formulieren Sie dies, wie es ein Norweger tun würde: ›Ich würde mir wünschen, dass wir hier eine Lösung finden …‹ Norweger sind grundsätzlich positiv eingestellt, sie glauben fest daran, dass sich die Dinge schon irgendwie einrenken werden: ›Det vil ordne seg.‹

Im Gegensatz zu Vertretern deutschsprachiger Länder halten sie es deshalb oft nicht für notwendig, Probleme ausdrücklich anzusprechen. Außerdem ist nichts so schlecht, dass dem nicht noch etwas Positives abgewonnen werden könnte.

Zielorientiert, aber ohne Druck

Kulturellen und sprachlichen Unterschieden zum Trotz werden Geschäftsbeziehungen mit Norwegern stets als partnerschaftlich und unkompliziert gesehen, was nicht heißen soll, dass Verhandlungen ein gemütlicher Spaziergang sind. Ist erst einmal die anfängliche Zurückhaltung überwunden, zeigt sich, dass auch Norweger ihre Interessen gezielt durchsetzen wollen, aber eben ohne den entsprechenden Druck aufzubauen. Weiß man all dies und noch ein paar kulturelle Feinheiten mehr, die es zu beachten gilt, sind die Voraussetzungen für erfolgreiche Geschäfte geschaffen.

Autorin: Julia Fellinger – Die freie Journalistin Julia Fellinger leitete zwei Jahre lang die Kommunikationsabteilung der Deutsch-Norwegischen Handelskammer in Oslo. Sie gibt interkulturelle Trainings spezialisiert auf interkulturelle Kompetenz Deutschland und Norwegen.

Auszug aus dem Buch Geschäftskultur Norwegen kompakt, CONBOOK

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Über den Autor

Steffen Henkel

Geschäftsführender Gesellschafter der crossculture academy

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