In vielen Entsendungsländern begegnen deutsche Kinder und vor allem ihre Eltern einem Erziehungsstil, der stark von ihren eigenen Idealvorstellungen abweicht. Dazu kann beispielsweise gehören, dass Krippen und Kindergärten weniger ein pädagogisches Konzept der Frühförderung verfolgen, sondern mehr der frühen Disziplinierung dienen. Denn vielerorts liegt das Einschulungsalter bereits bei vier oder fünf Jahren und entsprechend der in der Gesellschaft verankerten Erziehungsgrundsätze sind die Lehrkräfte in den Vorschulen und Schulen eher autoritär eingestellt. Es wird ein hohes Maß an Gehorsam verlangt, auf das die Krippen und Kindergärten systematisch vorbereiten. Freies Spiel und Spaß finden nur in der Freizeit ihre Berechtigung.
Neben einer strengen Erziehung ist in vielen Schulen weltweit der Frontalunterricht nach wie vor die gängige Methode. Die Kinder lernen vor allem auswendig. In Deutschland und anderen westeuropäischen Ländern hochgehaltene Lernziele wie Problemlösefähigkeiten, Kooperation und Kreativität werden kaum gefördert. Weitere Schwierigkeiten können durch extrem hohe Schülerzahlen pro Klasse, eine geringe pädagogische Ausbildung der Lehrer und veraltetes Unterrichtsmaterial entstehen. In Ländern mit stark ausgeprägter Klassengesellschaft kommt häufig hinzu, dass Kinder bestimmter Herkunft oder Religion schlechter oder besser behandelt werden als andere.
Da der Unterricht in nationalen Schulen fast nur in der Landessprache gehalten wird, können Expat-Kinder je nach Grad ihrer Sprachkenntnisse schnell überfordert sein, weil sie dem Unterricht nicht ausreichend folgen können. Oder aber sie langweilen sich, weil sie im Unterricht gedanklich abschalten, das aber auch keinem groß auffällt. Leistungsstärkere Kinder, die bereits in Krippe und Kindergarten die Landessprache gelernt haben, können in der nationalen Schule unterfordert sein, wenn sie z. B. wegen der großen Klassengröße und des Frontalunterrichts nicht ihrem Leistungsstand entsprechend gefördert werden. Auch Kinder mit Lernschwierigkeiten erhalten unter diesen Rahmenbedingungen wahrscheinlich nicht die nötige Aufmerksamkeit.
Internationale Schule – und alles ist gut?
Nicht alle internationalen Einrichtungen bieten die ideale Lösung. Einige Expats machen die Erfahrung, dass internationaler Kindergarten und Schule an ihrem Entsendungsort größtenteils von Kindern reicher Bürger des Gastlandes besucht werden. Das dortige Angebot wird zum Luxusgut erhoben, was ein entsprechendes Statusdenken der Kinder unweigerlich nach sich zieht. In diesem Fall bietet die internationale Schule auch nicht mehr die bunte Mischung aus zig Nationen, sondern die Mehrheit der Kinder spricht außerhalb des Unterrichts bevorzugt die Landessprache.
Die Lehrer sind häufig ebenfalls Einheimische, die lediglich auf Englisch oder Französisch unterrichten. Pädagogik und Lerninhalte werden durch die Standards im Gastland definiert, sodass auch hier möglicherweise nur Wissen abgefragt wird, statt das selbstständige Denken der Kinder zu trainieren. Neu dazukommende Expat-Kinder finden sich hier schnell in einer Außenseiterposition.
Wie die richtige Einrichtung finden?
Expat-Familien im Ausland sehen die Auswahl einer passenden Betreuungseinrichtung oder Schule für ihre Kinder häufig eingeschränkt, insbesondere wenn wegen der Sprachbarriere oder den lokalen Rahmenbedingungen nur wenige Einrichtungen in Frage kommen. Umso wichtiger ist es, dass sie sich ein möglichst realistisches Bild der lokalen Angebote verschaffen.
Bei der Auswahl einer Betreuungseinrichtung oder Schule sollten Sie als Eltern unbedingt auch einmal unangemeldet erscheinen, also nicht nur Tage der offenen Tür besuchen oder einen begleiteten Rundgang unternehmen. Einen authentischen Eindruck erhalten Sie nur, wenn sie mit anderen Eltern sprechen, die gerade ihr Kind abholen, oder es ihnen sogar gelingt, sich ein wenig umzusehen. Wichtige Anhaltspunkte geben Ihnen Aushänge, Bastelarbeiten, Veranstaltungsankündigungen etc. Achten Sie aber auch darauf, was Sie vermissen, z.B. kreative Malereien der Kinder oder helle Klassenräume. Die meisten Eltern bekommen sehr schnell ein Gefühl dafür, ob sie eine Einrichtung mögen oder nicht.
Über die Reputation einer Schule lässt sich viel in lokalen Internetforen erfahren. Werden dort Missstände angeprangert, sollten Sie diese vielleicht nicht gleich für bare Münze nehmen, aber als Grundlage für Ihre weitere Recherche. Wird eine Schule von lokalen Eltern hochgelobt, müssen Sie natürlich mit einbeziehen, dass diese vielleicht andere Erziehungsgrundsätze verfolgen als Sie selbst.
Ist gar keine akzeptable Schule in der Nähe Ihres Entsendungsortes zu finden, bietet die deutsche Fernschule e.V. einen Vollunterricht für Grundschulkinder an. Danach kann der Fernunterricht des Instituts für Lernsysteme (ILS) eine Option sein. Im Auftrag des Auswärtigen Amtes betreut ILS Schüler der Klassen 5 bis 10 per Fernunterricht nach deutschen Lehrplänen für alle drei Schulformen.
Wie können Eltern Schulproblemen begegnen?
Und was können Eltern tun, wenn ihre persönlichen Vorstellungen und Wünsche hinsichtlich der Erziehungs- und Lernmethoden und die im Gastland gegebenen Optionen weit auseinanderklaffen?
Wichtig ist für Expat-Kinder genauso wie für Eltern, den Kontakt zu Deutschland und zum deutschen Erziehungsleitbild zu halten. Deutsche Kindersendungen aufzeichnen oder DVDs anschauen, deutsche Kinderbücher lesen, deutsche Lernportale im Internet nutzen und den Kontakt zu Kindern in Deutschland (bei Besuchen oder per Internet und Webcam) pflegen: Dies alles kann Sie dabei unterstützen, die eigenen, deutsch geprägten Erziehungsstandards aufrechtzuhalten.
Sie sollten immer ein offenes Ohr dafür haben, wie sich Ihre Kinder in Krippe, Kindergarten oder Schule tatsächlich fühlen. Dinge, die Sie selbst als Problem sehen, haben vielleicht gar keinen so großen Einfluss auf Ihre Kinder. Während andere Faktoren, an die Sie selbst nicht denken, eine weitaus größere Bedeutung haben können. Berichten Ihre Kinder von Schulproblemen, sollten Sie immer darauf achten, ob nicht auch kulturelle Unterschiede zwischen Schule und Zuhause zu dem Konflikt beitragen?
Deutschunterricht zu Hause über die Fernschule hilft nicht nur dabei, mit deutschen Lehrplänen mitzuhalten, sondern auch, den deutschen Lernstil beizubehalten.
Insbesondere bei älteren Kindern kann es empfehlenswert sein, ihr Bewusstsein über die bestehenden Unterschiede zwischen den Erziehungsstandards in der Familie und im Gastland zu schärfen. So können Sie ihnen beispielsweise ein ungewohnt strenges Verhalten der Lehrer besser erklären. Ihre Kinder dürfen auch wissen, wenn Sie selbst eine Erziehungsmethode in der Schule nicht richtig finden, es aber gut heißen, dass sich Ihre Kinder an die lokalen Regeln anzupassen versuchen.
Je nach Altersstufe nehmen Schule und Freunde den höchsten Stellenwert im Leben Ihrer Kinder ein. Nichtsdestotrotz wird die Prägung durch die eigene Familie nicht ausgelöscht. Leben Sie daher Ihre Standards weiter vor, auch wenn Sie zeitweise das Gefühl haben, dass das Umfeld einen größeren Einfluss auf Ihre Kinder hat als Sie selbst.
Gemeinsame Aktivitäten mit der ganzen Familie stärken Sie als Einheit. Nehmen Sie sich daher im Ausland extra viel Zeit für Familienrituale, Gespräche und gemeinsame Mahlzeiten. Kinder, die sich zu Hause sicher und geborgen fühlen, können Konflikten außer Haus selbstsicher die Stirn bieten.
Fühlen Sie sich selbst in der Elterngemeinschaft als Außenseiter, hilft nur eines: Aktiv werden! Lassen Sie keine Gelegenheit aus, sich zu beteiligen. Helfen Sie beim Sommerfest, laden Sie andere Eltern und Kinder zu sich nach Hause ein und suchen Sie öfters das Gespräch mit den Erziehern/Lehrern. Viele Dinge, die Sie zuvor nur als Außenstehender betrachtet haben, sehen Sie aus der Nähe betrachtet vielleicht in einem neuen Licht. Mit Sicherheit unterstützen Sie so auch die Eingewöhnung Ihrer Kinder.
Haben Sie das Gefühl, dass in der lokalen Einrichtung die Kreativität Ihrer Kinder zu wenig gefördert wird oder sie ihre Potenziale nicht voll entfalten? Dann kann die Lösung eigentlich nur lauten, dies zu Hause zu kompensieren. Einfacher wird dies, wenn Sie in der Expat-Community Mitstreiter finden und Sie gemeinsam Bastelnachmittage, Kindertheater, deutsche Lerngruppen etc. veranstalten.
Wenn in der ausländischen Schule etwas ganz Entscheidendes fehlt, sollten Sie vielleicht die Initiative ergreifen, um Abhilfe zu schaffen? Vielleicht werden Sie positiv überrascht, wie viele andere Eltern Ihrer Meinung sind. Es liegt zumindest im Bereich des Möglichen, dass Sie etwas Gutes aus Ihrer deutschen Schule ins Ausland importieren.
Und zu guter Letzt: Halten Sie Kontakt zu Freunden in Deutschland mit gleichaltrigen Kindern. Tauschen Sie sich über Ihre Sorgen aus. Wahrscheinlich werden Sie sehen, dass auch Ihre deutschen Freunde mit Kindergarten- und Schulproblemen zu kämpfen haben. Denn auch dort gibt es Missstände.
Freizeit und Freunde
Unterschiede in den Erziehungssystemen machen sich auch bemerkbar, wenn Sie im Gastland einheimische Nannys oder Hauspersonal beschäftigen. Hier gilt es, zwischen lokalen Vorstellungen und Ihren eigenen Erziehungsgrundsätzen eine gute Balance zu finden. Im Idealfall erreichen Sie bei Ihrem Personal ein ausreichendes Verständnis für Ihre Ansichten. Ansonsten müssen Sie freundlich, aber bestimmt Ihre Grenzen setzen.
Werden Ihre Kinder häufig zu einheimischen Freunden eingeladen, sollten Sie dies vor allem als Chance sehen, zu lernen, welche Werte im Gastland gelebt werden. Unterstützen Sie Ihre Kinder, die Regeln zu akzeptieren, die die Eltern Ihrer Freunde aufstellen. Versuchen Sie auch bei Ihnen zu Hause einen Rahmen zu schaffen, in dem sich die Freunde Ihrer Kinder wohl fühlen. Nur so erreichen Sie, dass kulturelle Unterschiede den Freundschaften Ihrer Kinder nicht im Wege stehen.
Sind Ihre Kinder das Spielen und Herumtoben im Freien gewöhnt und können dies im Gastland wegen der hohen Temperaturen oder aus Sicherheitsgründen nicht mehr tun, sollten Sie nach Alternativen suchen. Oft ist es Eltern gar nicht bewusst, dass es ihren Kindern vor allem an Bewegung und Aktivität fehlt. Organisierte Verabredungen zu Hause sind sicherlich eine Alternative, aber auch Sport in der Freizeit kann für Bewegung und Spiel mit Gleichaltrigen sorgen – insbesondere wenn diese Dinge in Kindergarten oder Schule wenig gefördert werden.
Betreiben Sie Helicopter Parenting?
Insbesondere wenn sie in ihrem Umfeld mehr Gefahren wahrnehmen als beispielsweise in ihrem Heimatort in Deutschland und auch das Vertrauen in das lokale Schulsystem nicht vorhanden ist, neigen Expat-Eltern schnell zum Überbehüten. Wie ein Hubschrauber kreisen sie dann permanent um ihre Kinder und organisieren ihr gesamtes schulisches wie privates Leben. Auch unabhängig von einem Auslandsaufenthalt gilt dieses „Helicopter-Parenting“ als eines der Erziehungsphänomene unserer Zeit: Eltern versuchen, jede Aktivität ihrer Kinder zu beobachten, zu beeinflussen und zu steuern. Ihre Motive sind ein überaus hohes Sicherheitsbedürfnis, aber auch gesellschaftlicher Leistungsdruck und eine gewisse Erwartungshaltung. Ziel ist es, neben dem Schutz vor Gefahren, Verletzungen, Enttäuschungen meist auch eine hohe akademische Leistung ihrer Sprösslinge und damit den späteren beruflichen Erfolg in Zeiten des globalen Wettbewerbs abzusichern.
Oder möchten Sie ein Freerange-Kid?
Eine Gegenbewegung zum Helicopter-Parenting bilden die Freerange-Kids. Der Name beruht auf der amerikanischen Bloggerin und Buchautorin Lenore Skenazy. Sie beschreibt, wie die ständige Medienberichterstattung über Verbrechen, Unfälle und Missbrauchsfälle dazu führt, dass Eltern ihre Kinder gar nicht mehr aus den Augen lassen. Das Ergebnis sind ihrer Ansicht nach unselbstständige Kinder, die sich gerade in Gefahrensituationen nicht selbst zu helfen wissen. Ihr Aufruf: Kinder sollen Fahrradhelme tragen, im Auto in sicheren Kindersitzen fahren und sich immer anschnallen. Aber sie müssen trotz allem auch einmal alleine aus dem Haus und ihre eigenen Erfahrungen machen dürfen. Ein weiteres Schlagwort ist das Slow Parenting: Eltern sollen Kinder Kinder sein lassen und ihnen durch eine Reduzierung der außerschulischen Aktivitäten mehr Freiraum geben.
Erziehung ist auch unter den besten Voraussetzungen niemals eine leichte Sache. Als Expat-Eltern, fernab Ihres eigenen sozialen Netzwerkes, müssen Sie häufig erst Ihre eigenen Standards und Werte definieren. Schulische Missstände am Entsendungsort können Sie nur durch viel Eigeninitiative kompensieren. Aber bedenken Sie immer auch, dass Ihre Kinder im Ausland Dinge lernen, die Sie selbst vielleicht gar nicht auf Ihrer persönlichen „Wunschliste“ stehen haben. Für das eine, was Ihre Kinder in Kindergarten oder Schule im Ausland vielleicht missen, erhalten sie viele andere wichtige Erfahrungen für ihren späteren Lebensweg.
Autorin: Katrin Koll Prakoonwit – Bevor sie sich als Journalistin selbständig machte, schrieb Katrin Koll Prakoonwit Länderanalysen für die FAZ. Heute arbeitet sie für Publikationen verschiedener Beratungsunternehmen und Verlage. Frau Koll Prakoonwit lebt in Reading, Berkshire, bei London.