Kulturelle Unterschiede Großbritannien

Kulturelle Unterschiede Grossbritannien 300x199 1

Die feine englische Art ist weltweit bekannt und wird vor allem mit respektvollem, zurückhaltendem Verhalten gleichgesetzt. Mit dazu gehört auch eine uneingeschränkte Höflichkeit in jeder Lebenslage. Gefühlsausbrüche jeglicher Art werden als peinlich und bloßstellend empfunden. Jeder, der eine einigermaßen gute Erziehung genossen hat, weiß, wie man Haltung bewahrt.

Small Talk für die Geschäftsanbahnung

Die englische Kultur schreibt außerdem vor, stets für eine angenehme Atmosphäre zu sorgen. Daher sind die Engländer Meister im Small Talk. Besonders bemerkenswert ist ihre Fähigkeit, selbst über Nichtigkeiten ein angeregtes Gespräch zu führen. Vieles, was Deutsche für nicht erwähnenswert halten, bildet hier die Grundlage für einen Gesprächsanfang. Weil kein geschäftliches Treffen ohne diese Kunst der unverfänglichen Gesprächsführung auskommt, sollten sich Deutsche unbedingt ein wenig im Small Talk üben. Ziel ist dabei der Aufbau einer guten allgemeinen Stimmung und einer persönlichen Beziehungsebene, bevor man zum eigentlichen Geschäft kommt. Ein ruhiges und gleichmäßiges Sprechen, ohne wildes Gestikulieren und gegebenenfalls mit der berühmten „stiff upperlip“ wird besonders geschätzt.

Humor öffnet alle Türen

Trotz einer gewissen Steifheit, die man den Engländern gerne nachsagt, ist ihr Humor unschlagbar. Dabei gibt es nur wenige Tabus. Und vieles, über das die Engländer herzlichen lachen können, geht den Deutschen einfach zu weit. Nicht umsonst heißt es daher bei Engländern gleich „Don’t mention the war!“, sobald ein Deutscher den Raum betritt. Und auch am Humor der Deutschen hegen viele Engländer insgesamt so ihre Zweifel. In der Regel basieren englische Witze auf gekonnten Sprachspielen oder alltäglichen Begebenheiten, die ins Extreme überzeichnet werden. Dabei wird vorausgesetzt, dass der Zuhörer mitdenkt. Die Pointe ist also nicht immer so offensichtlich, wie bei deutschen Witzen. Lachen können, notfalls auch über Makabres, die eigenen Schwächen und die Deutschen an sich, ist also immer gut für die Geschäftsbeziehungen. Allerdings dürfen Sie die Balance zwischen höflichem Verhalten und englischem Humor niemals verlieren.

Understatement statt sich beweisen

Eine weitere Kunst, die die Engländer meisterlich beherrschen, ist ein selbstbewusstes Understatement: Niemand stellt seine Position oder auch sein berufliches Know-how in den Vordergrund. Unternommene Anstrengungen, um eine Leistung zu erbringen, lassen sich Engländer keinesfalls anmerken. Während Deutsche stets darauf bedacht sind zu zeigen, wie tüchtig sie sind, kann man in England mit solchen Demonstrationen nicht glänzen. Wahre Größe hat man oder eben nicht, lautet hier das Motto. Im geschäftlichen Alltag müssen Deutsche daher ganz genau zuhören können: Weiß ein Engländer beispielsweise etwas besser als seine Kollegen oder Geschäftspartner, wird er in der gemeinsamen Diskussion nur ganz bescheiden einige wenige Zweifel am zuvor Gesagten anmelden. Mehr nicht.

Trotzdem der allgemeinen Bescheidenheit darf das Vorhandensein eines ausgeprägten Klassenbewusstseins in England nicht unterschätzt werden. Für Deutsche gilt daher Vorsicht z.B. bei Bemerkungen über die eigene Herkunft, die Schulzeit oder das Studium. Daraus können leicht falsche Rückschlüsse auf eine Klassenzugehörigkeit gezogen werden, die man mit seiner Aussage gar nicht beabsichtigt hat.

Auf Distanz bleiben

Ein Gentleman-likes Verhalten ist zudem immer darauf ausgerichtet, dem anderen nicht zu nahe zu treten – sowohl in physischer als auch persönlicher Hinsicht. Der in England notwendige soziale Abstand lässt sich beispielsweise gut in der Londoner U-Bahn austangieren: Trotz Rushhour bemüht sich jeder, den anderen nicht zu berühren oder direkt anzublicken. Sind mehrere Sitzplätze frei, wählt man grundsätzlich den Platz, der die größte Distanz zum Nachbarn gewährt.

Mit diesem Bild vor Augen sollte man auch den Schutz der englischen Privatsphäre zu beachten wissen. Denn hier kann es zwischen Deutschen und Engländern schnell zu Missverständnissen kommen: Einerseits ist für Engländer die Kontaktaufnahme mit Fremden über den besagten Small-Talk etwas Selbstverständliches. So wie einem auf der Straße sofort Hilfe angeboten wird, wenn man in einen Stadtplan blickt, berichten auch viele ausländische Geschäftspartner, dass sie in England sehr leicht Kontakte gemacht haben. Eine Intensivierung der Beziehung ist aber häufig fehlgeschlagen.

Hintergrund ist hier, dass die überaus höfliche und freundliche Art der Engländer die Deutschen zu schnell vermuten lässt, eine persönliche Beziehung seien bereits geschaffen. Gehen sie dann einen Schritt weiter, beispielsweise mit einer persönlicheren Frage, dringen sie massiv in die Privatsphäre der Engländer ein und machen sich damit noch viel unbeliebter als dies auf den ersten Blick spürbar wird. Das Verständnis der Privatsphäre wird in England sehr eng gefasst. Mit einbezogen werden nicht nur das Privat- und Familienleben, sondern auch persönliche Überzeugungen, Meinungen, Vorlieben oder auch die eigene Arbeitsweise.

Vorsicht mit Kritik

Kritik wird vor diesem Hintergrund ebenfalls nur sehr indirekt geäußert, um den anderen eben nicht in seiner Privatsphäre zu verletzen. Deutsche übergehen im Kontakt mit englischen oder britischen Geschäftspartnern diese vorsichtig geäußerten kritischen Hinweise sehr leicht und schockieren wiederum mit zu direkten kritischen Fragen und Äußerungen. Daher ist es in Gesprächen mit Engländern ratsam, die eigenen Worte grundsätzlich durch einen überaus höflichen Sprachstil abzuschwächen. Auch Anweisungen müssen stets in höfliche Bitten umgemünzt werden.

Im Geschäftsleben kann die vergleichsweise eng gefasste Privatsphäre der Engländer außerdem zur Konsequenz haben, dass gut gemeinte Ratschläge der deutschen Seite beispielsweise zur Organisation eines gemeinsamen Projekts sehr viel schneller als Einmischung in die eigene Arbeit oder den eigenen Verantwortungsbereich empfunden werden als hierzulande. Grundsätzlich gilt, dass in Bezug auf Arbeitsthemen höchstens Anregungen unterbreitet werden, es aber niemals zur Debatte darüber kommt, was richtig oder falsch, besser oder schlechter ist. Unbedingt wichtig ist es jedoch, gute Ansichten oder eine gute Vorarbeit ausreichend zu loben!

Englischer Verhandlungsstil

Auch in Verhandlungen gilt es für Deutsche, sehr genau hinzuhören. Denn Engländer zeigen nur wenige Reaktionen, wenn sie mit etwas nicht einverstanden sind und werden ihre Ablehnung auch nicht weiter ausführen. Ihre Ansichten zu einem unterbreiteten Vorschlag äußern sie zwar einerseits durchaus direkt, andererseits aber meist eher ruhig und subtil. Bevor sie einem Angebot zustimmen und die nächste Rund der Verhandlungen eingeläutet werden kann, werden sich Engländer tendenziell sehr viel Zeit nehmen, alle vorgebrachten Argumente genau abzuwägen. Ungeduldig werdende Deutsche sollten dann nicht den Fehler begehen, mit zusätzlichen Verkaufstaktiken Druck auszuüben. Das führt nur in den seltensten Fällen zum Erfolg. Viel besser ist es, seine Verkaufsargumente sachlich und pragmatisch weiter zu untermauern. Es gilt, Vertrauen zu schaffen und mit guten Informationen zu überzeugen. Die Entscheidung selbst wird dann in der Regel auf der höchsten Führungsebene getroffen.

Die richtige Mischung

Auch wenn sich deutsche Geschäftsreisende in England bzw. Großbritannien nicht auf einen Schlag zum perfekten Gentleman – oder zur perfekten Lady – wandeln können, bauen Höflichkeit, Kompromissfähigkeit und Toleranz immer eine Brücke, um harmonische Geschäftsbeziehungen aufzubauen. Deutsche tun daneben gut daran, sich zudem im entsprechenden Understatement zu üben, um die zurückhaltenden englischen Geschäftspartner nicht zu überfahren oder gar mit zu direkten Worten zu vergraulen. Eine gut gelungene Mischung zwischen einer über Small Talk aufgebauten Beziehungsebene und einer angemessenen Sachorientierung führen hier mit Sicherheit am besten zum Ziel.

Autorin: Katrin Koll Prakoonwit – Bevor sie sich als Journalistin selbständig machte, schrieb Katrin Koll Prakoonwit Länderanalysen für die FAZ. Heute arbeitet sie für Publikationen verschiedener Beratungsunternehmen und Verlage. Frau Koll Prakoonwit lebt in Reading, Berkshire, bei London.

Teilen Sie diesen Beitrag

Interessiert an weiteren Informationen oder Fragen zum Thema?

Über den Autor

Steffen Henkel

Geschäftsführender Gesellschafter der crossculture academy

Ähnliche Beiträge

Interessiert am crossculture Newsletter?

Sind Sie neugierig? Abonnieren Sie hier!

Subject Topics Newsletter GERMAN