Hund, Katze, Maus und Queen. Kleinkinder, die so wie meine beiden Jungs in Großbritannien aufwachsen, lernen wie ihre deutschen Altersgenossen auch, viel über Tiere auf dem Bauernhof, Autos, Bagger und Flugzeuge. Aber sie lernen eben auch viel über Könige und Prinzessinnen – und zwar nicht nur aus Märchen und Geschichten, sondern über die echten!
Noch vor dem dritten Geburtstag wissen britische Kinder, wer Queen Elizabeth ist. Bis zur Einschulung im Alter von vier sind auch die Thronfolger plus royalem Anhang fest verankert. So unterscheiden auch meine Jungs gekonnt zwischen „our Queen“, die in Bilderbüchern und durch Spielzeugfiguren durchaus Präsenz in Krippe und Kinderzimmer zeigt, und der eher unspezifischen Königin aus dem Märchenbuch. Mittlerweile habe ich als deutsche Mutter die Rolle der englischen Queen im Leben meiner Söhne akzeptiert. Wir haben runde Geburtstage, Thronjubiläen und Hochzeiten im Königshaus aktiv mitgefeiert und singen bei ungeahnt vielen Anlässen die englische Nationalhymne, und zwar komplett mit Text!
King Bhumipol ist tot
Und so war ich zumindest ein wenig auf die Trauer vorbereitet, die mein Mann, der in Thailand geboren und aufgewachsen ist, und vor allem meine thailändische Schwiegerfamilie in Bangkok empfanden, als am vergangenen Freitag King Bhumipol im Alter von 88 Jahren verstarb. 70 Jahre war er im Amt gewesen und hatte hinter verschlossenen Türen das politisch tief gespaltene Land zusammengehalten – heute wie damals.
Ganz in schwarz gekleidet haben Millionen Thais in tiefer Trauer Abschied von ihrem toten König genommen. Zehntausende knieten am Straßenrand und hielten ein Konterfei des Königs hoch, als der Leichnam vom Krankenhaus zum Palast gebracht wurde. Man schwieg oder weinte laut. Viele kamen von weither in die Hauptstadt Bangkok, um ihrem König die letzte Ehre zu erweisen.
Die meisten Thais tragen seither Schwarz oder Weiß als Zeichen der Trauer, nicht nur im täglichen Leben, sondern auch auf ihrem Profilbild auf Facebook. Firmenwebsites sind mit Trauerflor versehen. Die Leuchtreklamen auf den Straßen sind verschwunden, vor vielen Geschäften stehen mit Blumen geschmückte Porträtbilder des Königs. Im Fernsehen wird eine Woche lang keine Werbung ausgestrahlt, überhaupt werden fast nur Programme über den verstorbenen König gezeigt.
Mangelnde Trauerbekundung ist Majestätsbeleidigung
Wie alles in Thailand braucht auch die Trauer ihre Zeit. Nach der Tradition wird der Leichnam des Königs einbalsamiert. Die buddhistischen Trauerrituale mit Gebeten und Gesängen der Mönche dauern 100 Tage. Bis zur Beisetzung wird noch eine ganze Weile vergehen. Die Königinmutter war nach ihrem Tod 1995 in einer Thronhalle aufgebahrt, ihre Einäscherung fand erst acht Monate später statt.
Die Militärregierung hat vorsorglich eine einjährige Staatstrauer angeordnet, wahrscheinlich auch mit Blick auf mögliche politische Unruhen. Alle Fahnen wehen auf Halbmast. Thailändische Beamte werden bis Oktober nächsten Jahres Schwarz tragen. Private Unternehmen können für ihre Mitarbeiter eigene Regeln erlassen. Und so werden die Spieler des Readinger Fußballclubs hier in England, welcher sich im Besitz eines thailändischen Konsortiums befindet, beim nächsten Auswärtsspiel eine schwarze Armbinde tragen.
Wer über Businesskontakte nach Thailand verfügt, sollte mit einem Kondolenzschreiben seine Teilnahme bezeugen. Und auch Touristen sollten Rücksicht zeigen. An allen Touristenorten des Landes sind Partys, Konzerte und jegliche Unterhaltungsprogramme für mindestens 30 Tage gestrichen. Viele Touristenattraktionen bleiben ebenfalls geschlossen.
Es ist bereits zu wütenden Übergriffen auf Menschen gekommen, die nicht gebührend trauern. Laut Medienberichten wurden beispielsweise Personen bedroht, die Fotos von sich in bunter Kleidung oder mit lachender Miene veröffentlicht hatten. Mangelnde Trauerbekundung kann in Thailand sogar wie Majestätsbeleidigung mit bis zu 15 Jahren Haft geahndet werden.
Mangelnde Respektbezeugung gegenüber der Königsfamilie ist in Thailand generell ein Fehler, der auch unachtsamen Geschäftsleuten oder Touristen unterlaufen kann. Denn Respekt muss nicht nur den Mitgliedern der Königsfamilie persönlich, sondern auch allen Abbildern bezeugt werden. Dass man thailändische Banknoten nicht zerknittern oder zerreißen darf, weil sie das Konterfei des Königs tragen, kann man inzwischen in jedem Reiseführer lesen. Übrigens ist es angeblich auch nach britischem Gesetz eine Straftat, eine Briefmarke mit dem Porträt der Queen falschherum auf einem Brief aufzukleben. Fehlverhalten wird jedoch meines Wissens nach nicht mehr strafrechtlich verfolgt.
Moralische Leitfiguren mit kultureller Verankerung
Thais empfinden für ihr Königshaus eine Hochachtung, die durchaus religiöse Züge trägt. Ein Beispiel dafür ist die Unterwürfigkeit, mit der jeder Mitgliedern des Königshauses begegnet. King Bhumipol, der länger regierte als jeder andere Monarch der Welt, verfügte darüber hinaus über eine große Autorität im Land. Obwohl Thailand, wie auch Großbritannien, eine konstitutionelle Monarchie ist, übte er eine enorme politische Macht hinter den Kulissen aus. Viel bedeutender war jedoch seine moralische Funktion im Land.
Die Monarchie ist im heutigen Thailand kulturell tief verankert – wie in gewissem Maße auch in Großbritannien . Neben öffentlich gelebten Traditionen tragen vor allem Charisma, Ausstrahlung und Persönlichkeit einen König oder eine Königin durch moderne Zeiten. Selbst die größten Monarchiekritiker in Großbritannien werden der Queen mit Respekt für ihre Pflichterfüllung und Hingabe begegnen. Sowohl King Bhumipol als auch die britische Königin haben in ihrem Reich zahlreiche Premierminister kommen und gehen gesehen. Das verleiht ihnen Kontinuität und Souveränität, die die Bevölkerung spürt und an die nächste Generation weitervermittelt. England als das Mutterland der Demokratie führt seit Jahrhunderten die Monarchie erfolgreich weiter – trotz aller Kritikpunkte, Skandale und der Kostenfrage. William und Kate mit ihren Kindern Prince George und Princess Charlotte sind mehr denn je Vorbilder der jungen Generation.
Der designierte thailändische Thronfolger, der 64 Jahre alte Kronprinz Maha Vajiralongkorn, wird im Land allerdings nicht so innig verehrt wie sein verstorbener Vater. Die Tatsache, dass er seinen Amtsantritt um ein Jahr hinausschiebt, wird nicht zuletzt auf Machtkämpfe im Hintergrund zurückgeführt. Viele Thais wünschen sich ohnehin lieber die populäre Prinzessin Maha Chakri Sirindhorn auf den Thron – so wie die Briten wohl gerne William und Kate statt Charles und Camilla hätten. Allerdings kann über Nachfolgefragen in Thailand wegen der drakonischen Strafen für Majestätsbeleidigung nicht offen diskutiert werden.
Schon einsam, so ganz ohne Königshaus
In unserem interkulturellen Familienleben war ich am Freitagabend jedenfalls ein wenig die Außenseiterin, die weder die thailändische Trauer noch den Gedankengang unseres Sohnes so ganz nachempfinden konnte, der schließlich mit dem beruhigenden Gefühl zu Bett ging, dass seine Queen ja noch lebt.
Vor dem Einschlafen dachte ich noch recht emotionslos an Angela Merkel, Joachim Gauck und sogar an Helmut Kohl – nein, es gibt wohl keine moralische Leitfigur in meinem deutschen Leben.
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