Kaffee trinken liegt in Indien voll im Trend

coffee shops Indien

Mein Bekannter fliegt zum ersten Mal geschäftlich nach Indien und raunt mir zu: „Bäh, da muss ich diesen pappsüßen Milchtee trinken. Igitt, wie furchtbar. Das ist doch eine Strafe für einen Kaffeetrinker wie mich.“ „Denkste“, rufe ich. „Es gibt auch Kaffee!“

Indiens Tee ist bekannt. Darjeeling, Assam, Nilgiri werden in die ganze Welt exportiert. Chai, schwarzer Tee gekocht mit Zucker und Milch, ist das Standardgetränk der Inder. Verhandlungen werden „over a cup of tea“ geführt und Wartezeiten mit einer Tasse Tee versüßt. Doch die Zeiten ändern sich. Indiens neues „In-Getränk“ ist Kaffee. Lavazza, Costa Coffee, Cafe Coffee Day (CCD), Coffee Bean & Tea Leaf (CBTL), Bru World Cafe, Dunkin Donats, Starbucks sind einige der etablierten Marken am Markt, der sich aller Voraussicht nach von 230 Mrd. US$ (2013) auf 410 Mrd. US$ (2017) fast verdoppeln wird. Seit 2000 kamen jedes Jahr etwa 250 neue outlets dazu. Die Zahl stieg von ca. 700 im Jahr 2007 auf knapp 2000 im Jahr 2014.
Traumjob: Barista

Durchschnittlich 120 Rupien lässt man sich den Besuch im Café kosten. Wer einmal auf den Geschmack gekommen ist, schaut regelmäßig vorbei. „Ich kenne meine Stammkunden alle mit Namen und weiß, was sie trinken wollen“, sagt Vinod, der als Barista seinen Traumjob gefunden hat. „Als ich bei Costa anfing, war mein Englisch sehr schlecht. Heute kann ich mich mit meinen Kunden in fließendem Englisch unterhalten und ihnen auch ein paar Empfehlungen geben, die ihren Geschmack treffen könnten. Ich schaute eine Woche lang nur zu, wie meine Kollegen mit den Kunden umgehen, was für Handgriffe sie machen, was sie sagen. Dann fing ich mit einfachen Sachen an. Ich bekam ein ausgezeichnetes Training, das mich auch im Umgang mit meinen anspruchsvollen Kunden sicher machte. Gibt es einmal Reklamationen, dann weiß ich, was zu tun ist. Denn wir haben ein genaues Procedere, mit Beschwerden umzugehen.“

10.000 Rupien (125 €) ist das monatliche Einstiegsgehalt. Dazu eine schöne Uniform. Barista ist der Traumjob für viele junge Leute aus den Dörfern. Vinod wird von vielen Jungs seiner alten Schule gefragt, ob er nicht ein gutes Wort für sie einlegen könne. „Das mache ich gerne, wenn ich weiß, dass sie wirklich bereit sind, hart zu arbeiten. Unsere Personalabteilung ist froh, wenn wir gute Leute empfehlen.“

Die Karriereleiter

Vom Barista zum Schichtmanager geht die Karriereleiter und für manche sogar weiter in ein fünf Sterne-Hotel. Sie sind Profis – haben das nötige Können, sind freundlich, offen, gepflegt, serviceorientiert und verstehen die Wünsche ihrer Kunden. „Wir suchen Talente, die bereit sind zu lernen und sich selbst weiterzuentwickeln. Hygiene, gute Manieren und Freundlichkeit sind uns besonders wichtig. Besonders viele Bewerbungen kriegen wir von Leuten, die in einem Call-Center gearbeitet haben“, bemerkt K.S. Narayanan von CBTL. CCD (Cafe Coffee Day) mit mehr als 8000 Baristas gibt besonders gerne auch behinderten Leuten eine Chance. „Warum sollen sie das nicht können. Wir machen gute Erfahrungen“, heißt es vom Management. Das Costa’s Green Park Cafe in Delhi fing 2007 an, junge Leute anzustellen, die „specially-abled“ sind. „Das klappt prima. Sie sind voll integriert und kommen gut zurecht. Wir denken daran, eine unserer Filialen nur von unseren Angestellten mit Behinderung managen zu lassen. So setzen wir ein Zeichen für Inklusion.“

Selbstständigkeit und Selbstbewusstsein

Der Job an der Theke ist weitgehend Männersache. Vor allem wegen der Öffnungszeiten der Cafés. Oft geht eine Schicht von 11.00 Uhr morgens bis 11.00 Uhr abends. Für Frauen ist das schwer machbar, weil sie sich vor allem auf dem Heimweg nachts nicht sicher fühlen. Deshalb haben viele Ketten spezielle Schichten für Frauen eingerichtet. Anjaly findet das prima. Nach der 12. Klasse zog sie vom Land zu ihrer Tante in die Stadt, um dort Arbeit zu finden. Sie bekam eine Lehrstelle als Barista bei Indiens größter Café-Kette CCD. „Meine Familie konnte sich darunter nichts vorstellen und war skeptisch, weil ich mit so viel fremden Leuten täglich zu tun habe. Ich bin jetzt schon im siebten Jahr hier und habe die Routine und vor allem Selbstvertrauen. In meinem Job macht mir niemand etwas vor. Zudringlich wurde niemand. Da achten auch die Kollegen drauf. Was ich besonders schätze ist mein selbst verdientes Geld. Ich habe eine große Summe gespart. Jetzt drängt meine Familie darauf, dass ich heirate. Schließlich bin ich 25. Da wird es Zeit. Ja, ich möchte heiraten. Aber zurück ins Dorf und meine Selbstständigkeit aufgeben, das kommt auf keinen Fall in Frage. Ich möchte weiterarbeiten“, sagt Anjaly mit viel Selbstbewusstsein.

Prestige und Exklusivität färben ab

Vielleicht ist es für Anjaly schwierig, einen Mann zu finden. Vinod hingegen sieht aufgrund seines Jobs gestiegene Chancen für sich auf dem Heiratsmarkt. „Wir arbeiten in tollen locations. Am Flughafen Delhi war ich schon, jetzt in einer der Super-Malls in Gurgaon. Da ist alles ziemlich fancy. Es kommen tolle Leute. Ich habe Stammkunden. Das sind wichtige Leute in der Stadt. Mein Arbeitsplatz ist international und chic. Der Job bringt mir Prestige. Außerdem habe ich inzwischen ein sehr gutes Gehalt. Da habe ich ausgezeichnete Chancen, eine tolle Frau zu finden“, findet Vinod und grinst.

Vielleicht erinnern Sie sich bei Ihrer nächsten Tasse Kaffee oder Tee – den gibt es dort nämlich auch – dem Brownie, dem hot chocolate cake oder Sandwich, an die Geschichten der jungen Leute, die Sie mit einem Lächeln sehr zuvorkommend mit allen möglichen Varianten von Kaffee bedienen. Die aller wenigsten von ihnen hatten – ehe sie ihre Ausbildung zum Barista begannen – je einen Schluck Kaffee getrunken.

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Über den Autor

Steffen Henkel

Geschäftsführender Gesellschafter der crossculture academy

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