Die brasilianische Kultur der Sympathie

Menschen aus dem deutschsprachigen Raum wirken auf Brasilianer steif und humorlos. Aber sie genießen grundsätzlich einen Vertrauensvorschuss, der teils auf vielen positiven Stereotypen beruht, sie gelten als pünktlich, zuverlässig und seriös – und werden für diese Eigenschaften sehr geschätzt. Allerdings besteht eine entsprechend hohe Erwartungshaltung: Kommen Sie zu einem Termin ohne ersichtlichen Grund zu spät oder halten Sie das Versprochene nicht ein, entsteht ein sehr negativer erster Eindruck, der nur schwer zu revidieren ist.

Herzen in grün, blau und gelb mit der Brasilianischen Flagge aufgedruckt

Den eigenen Status zur Schau stellen

Treffen Sie in einem ersten Meeting auf Ihnen unbekannte Geschäftsleute, warten Sie ab, bis Sie Ihr brasilianischer Gastgeber vorstellt. Erst dann grüßen Sie in die Runde. In der Regel spricht man sich auch im Geschäftsleben schnell mit dem Vornamen an. In Brasilien wird, im Gegensatz zu den meisten anderen lateinamerikanischen Ländern, der Nachname nur selten verwendet.

Ein wichtiger Punkt, den es zu beachten gilt, ist das in Brasilien herrschende Hierarchiedenken. Es handelt sich um eine statusorientierte und kolonialgeprägte Gesellschaft. Das Elitedenken ist stark ausgeprägt. Dementsprechend wird der eigene Status zur Schau gestellt.

Für ein entsprechendes Erscheinungsbild ist es absolut notwendig, den passenden Dresscode einzuhalten. Ein Fünfsternehotel als Treffpunkt für ein Meeting ist kein Zeichen für Verschwendung, sondern signalisiert den brasilianischen Geschäftspartnern: ›Dieser Person ist unser Land wichtig.‹

Es empfiehlt sich darüber hinaus, stets Autorität auszustrahlen und keine informelle Nähe zu niedrigeren Hierarchiestufen zuzulassen. Wem der Pförtner zur Begrüßung auf die Schulter klopft, der büßt bei seinen Geschäftspartnern an Respekt ein.

Keine Überheblichkeit zeigen

Im Gegensatz dazu muss man als Ausländer darauf achten, Brasilianern gegenüber nicht überheblich aufzutreten: O maior país do mundo – Brasilien ist zwar lediglich das fünftgrößte Land der Welt, für die Brasilianer hingegen ist es das größte. Und noch dazu ist Gott ein Brasilianer. Wer Land und Leute weder mag noch anerkennt und sich darüber hinaus herablassend äußert, weil vieles dem mitteleuropäischen Standard nicht entspricht, hat schon verloren.

Daher gilt: Ihren brasilianischen Geschäftspartnern mit Hochmut zu begegnen, wäre ein schwerer Fehler. Überheblichkeit wird hart bestraft – und zwar mit Missachtung. Haben Sie diesen Fehler einmal gemacht, wird er nur schwer zu beheben sein. Auf diese Weise lassen sich in Brasilien keine Geschäfte machen, ganz gleich wie gut und attraktiv das Produkt oder die Dienstleistung sein mag und egal, was man für ein Experte in seinem Fach ist. Business ist in Brasilien persönlich: Man macht Geschäfte zwischen Menschen und nicht – wie im deutschsprachigen Raum üblich – zwischen Firmen. Stimmt die Chemie zwischen den Partnern, klappt auch das Geschäft.

Ein positiv denkender Macher

Vor diesem Hintergrund ist es zu sehen, dass Brasilianer eine positiv denkende Führungspersönlichkeit erwarten, die immer eine Lösung findet und umfassend sozial vernetzt ist. Falsche Bescheidenheit, Understatement und die für die deutsche Arbeitsweise typische Fokussierung auf Probleme können Irritationen auslösen. Brasilien ist das Land des jeitinho, der Einstellung, dass alles machbar ist und für jedes Problem eine Lösung gefunden werden kann. Diese Haltung sollten auch Sie ausstrahlen.

Positive Kommunikation

In ihrem Kommunikationsstil spiegelt sich wider, dass Brasilianer eine Kultur der Sympathie, des Positiv- Feelings und der guten Laune pflegen. Alle achten darauf, dass es dem anderen gut geht, dass keiner das Gesicht verliert. Es ist eine Gesellschaft der ›offenen Arme‹, ähnlich dem Bild des Christus von Corcovado in Rio.

Allerdings herrscht in Brasilien auch eine Incoming- Haltung vor, es besteht eine Holschuld. Man wird zwar stets mit offenen Armen empfangen, muss sich aber in Richtung der Brasilianer bewegen. Meist gilt es, den ersten Schritt zu machen, immer wieder auf sie zuzukommen und den Kontakt zu suchen. Ihre passive Zurückhaltung lässt sich schließlich ins Aktive umwandeln, indem man ein Wir-Gefühl erzeugt. Dies alles kostet viel Zeit und Energie, aber nur so wird man als Außenstehender Teil des brasilianischen Teams.

Wie schafft man die in Brasilien so wichtige positive Kommunikationsbasis? Vor allem, indem man viel lächelt bzw. lacht, Humor zeigt, entspannt ist, Zeit für den anderen mitbringt, sich für ihn, seine Familie und seine Freunde interessiert, Lob austeilt sowie eine körperliche Nähe sucht und findet. Die Beziehung zwischen den Menschen steht im Vordergrund – auch im Geschäftsleben. Diese lässt sich etablieren, indem man immer nach einem gemeinsamen Nenner sucht. Das Wichtigste ist, zu gefallen und als sympathisch empfunden zu werden. Die Kompetenz – sprich Fachkenntnis – bleibt zunächst im Hintergrund.

Zirkulär = wertschätzend

In Gesprächen wird zudem häufig zirkular kommuniziert. Man unterhält sich langsam, in immer engeren Kreisen zum Thema kommend. Das wirkt auf die deutlich stärker zielorientierten Deutschsprachigen, die gerne ohne Umschweife auf den Kern der Sache zu sprechen kommen möchten, oft inkompetent. Diese Form der Kommunikation bestätigt aber aus brasilianischer Sicht die Wertschätzung für den Gesprächspartner, da sehr behutsam mit ihm umgegangen wird.

Ohne Nein auskommen

Brasilianer kommunizieren sehr viel indirekter als in den deutschsprachigen Ländern üblich. Deshalb hört man von ihnen selten ein klares Nein. Ein Nein würde als Ablehnung der Person wahrgenommen und nicht ausschließlich in Bezug auf die Sache verstanden.

Wenn Brasilianer während eines Gesprächs etwas ablehnen möchten, wird ihr Ton weicher. Körpersprache und Blick signalisieren Verständnis. Man entschuldigt sich für seine ablehnende Haltung, gibt eine Erklärung bzw. benennt die Ursache – oder findet eine beziehungsschonende Ausrede. Außerdem stellt man in Aussicht, dass es beim nächsten Mal bestimmt, irgendwann in der Zukunft aber ganz sicher doch klappen wird.

Mit dieser Taktik wird dem anderen Achtung gewährt, man lässt ihn nicht das Gesicht verlieren. Die persönliche Beziehung als gemeinsame Grundlage wird nicht durch ein schonungsloses Nein zerstört.

Spontanes Ja richtig verstehen

Ein Ja hört man dafür umso häufiger. Brasilianer sind spontan und freundlich. Sie wollen ihrem Gegenüber ständig einen Gefallen tun. So sprechen sie schnell eine Einladung zu sich nach Hause aus oder schlagen vor, gemeinsam etwas zu unternehmen. Zücken Sie nicht sofort den Terminkalender! Solche Einladungen sind meist eine Nettigkeit, nicht mehr und nicht weniger. Ernst gemeint ist eine Einladung nur, wenn konkrete Angaben folgen.

Wie kann man wissen, ob es sich bei einem Ja auch wirklich um ein Ja handelt? Haben Brasilianer großes Interesse an einem Thema oder an einem Angebot, senden sie deutliche Signale. Zum Beispiel erwarten sie dann eine Antwort bzw. Rückmeldung so schnell wie möglich.

Das richtige Gespür, wann Brasilianer Ja und wann sie Nein meinen, bekommen Sie mit der Zeit. Wichtig ist es, sich dieser besonderen Art der Kommunikation bewusst zu werden und sich darauf bestmöglich einzustellen.

Autoren: Markus Hasenfratz und Gerardo Müller Alban- Markus Hasenfratz ist Ingenieur und interkultureller Trainer für das Zielland Brasilien. Seit mehreren Jahren hält er Seminare über die kulturellen Unterschiede zwischen den beiden Ländern und unterstützt mittelständische Unternehmen dabei, ihren Markeinstieg zu erleichtern. Der interkulturelle Trainer Gerado Alfonso Müller Albán stammt aus Ecuador und spezialisierte sich auf Lateinamerika. Er möchte die Zusammenarbeit zwischen Deutschland und dem spanischsprachigen Raum fördern. Sein Fokus in den Seminaren liegt auf interkultureller Kompetenz und er greift auf ein vielseitiges Netzwerk zurück.

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Über den Autor

Steffen Henkel

Geschäftsführender Gesellschafter der crossculture academy

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