Im Vielvölkerstaat Ukraine sind rund 75 Prozent der Bevölkerung Ukrainer. Es wird Ukrainisch, eine ostslawische Sprache, gesprochen. Russisch ist jedoch ebenfalls weit verbreitet, denn rund 20 Prozent der Bevölkerung sind Russen. Seit der Unabhängigkeit 1991 von der Sowjetunion ist Russisch jedoch keine Amtssprache mehr. Allerdings gibt es eine weit verbreitete mündliche Mischform der ukrainischen Sprache mit dem Russischen, das sogenannte Surschyk. Daneben finden sich weitere Mischsprachen in einzelnen Städten, wie beispielsweise der Lemberger Dialekt. Die ukrainische Regierung fördert jedoch stark das Ukrainische als einzige Landessprache.
Fatalismus statt Planungsgenauigkeit
Der orthodoxen Kirche angehörig bezeichnen sich etwa 37 Prozent der Bevölkerung, während rund 40 Prozent als konfessionslos gelten. Daneben bilden Juden, Protestanten und Muslime größere Religionsgruppen. Unabhängig von der Religionszugehörigkeit ist den meisten Ukrainern ein ausgeprägter Aberglaube gemein, der sich auch im täglichen Geschäftsleben manifestiert. Das liegt vielleicht daran, dass die Ukraine auf eine bewegte Geschichte und turbulente Zeiten – nicht nur in der jüngsten Vergangenheit – zurückblickt. Mit sich stetig ändernden Regeln und Gesetzen, einer mit Unsicherheit behafteten Wirtschaft und instabilen Regierungen haben die Menschen einerseits gelernt, sich stets an neue Gegebenheiten anzupassen. Andererseits haben sie aber auch eine eher fatalistische Einstellung zum Leben entwickelt.
Das hat beispielsweise zur Folge, dass im ukrainischen Business nicht allzu weit in die Zukunft geplant wird. Man reagiert stattdessen spontan auf die sich bietenden Gelegenheiten oder Herausforderungen. Wer weiß schon genau, was morgen sein wird? In Sachen Aberglaube sollten Sie beispielsweise darauf achten, niemandem die Hand zur Begrüßung zu schütteln, wenn Sie gerade auf der Türschwelle stehen.
Begrüßung und Anrede
Ukrainische Geschäftsleute begrüßen sich mit einem festen Handschlag und nennen gleichzeitig ihren vollständigen Namen. Dabei ist Augenkontakt wichtig, denn er signalisiert Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit. Bei einer engeren Geschäftsbeziehung ist auch ein Schulterklopfen Teil des Begrüßungsrituals. Auch beim Verabschieden reicht man sich die Hand.
Frauen begrüßen sich untereinander häufig mit drei angedeuteten Wangenküsschen. Auch wird Frau dem Herren zuerst die Hand reichen, sofern sie das möchte. Ansonsten genügt ein freundliches Kopfnicken. Übrigens gelten in der Ukraine Frauen gegenüber noch die klassischen Höflichkeitsregeln. Achten Sie also darauf, dass Sie einer Dame die Tür aufhalten, aus dem Mantel helfen etc.
Ukrainische Nachnamen bestehen aus zwei Teilen. Der erste Teil setzt sich aus dem Namen des Vaters plus einer patronymischen Endung zusammen. Für Männer ist diese -vich oder -ovich, für Frauen -ovna, -avna oder -ivna. Der Sohn eines Alexi erhält somit den Mittelnamen Alexivich, seine Tochter wäre Alexivna. Es folgt in beiden Fällen der Familienname.
Bei einer formellen Vorstellung werden meist die vollständigen Namen verwendet, also Vorname, Mittelname mit patronymischer Endung und Nachname. Akademische wie auch berufliche Titel (Direktor etc.) werden nur mit dem Nachnamen genannt. Wer keinen Titel hat, wird mit Pan (männlich) oder Pani (weiblich) plus Nachname angesprochen. Unter Kollegen verwendet man häufig Vorname und Mittelname.
Visitenkarten werden in der Ukraine ohne besonderes Ritual ausgetauscht. Es ist allerdings von Vorteil, wenn Sie eine Seite Ihrer Visitenkarte in ukrainischer Sprache verfassen. Dort sollten alle Titel und die berufliche Position genannt werden. Rang und Status einer Person sind bei der Geschäftsanbahnung durchaus von Bedeutung.
Persönliche, beziehungsorientierte Kommunikation
Die Kommunikation in der Ukraine ist sicherlich indirekter als in Deutschland. Man kommuniziert beziehungsorientiert, denn es gilt, das Gesicht des Gegenübers stets zu wahren. Kritische Punkte werden nur diskret vermittelt und oft mit positiven Aussagen ummantelt. Je enger jedoch die Beziehung geknüpft wird, desto direkter und offener werden Ukrainer ihre Meinung äußern. Das ist in der späteren Zusammenarbeit für Deutsche durchaus von Vorteil.
Eine gute Beziehung zu Ihren ukrainischen Geschäftspartnern aufzubauen, ist also das A und O. In der Ukraine macht man Geschäfte mit Freunden, nicht mit Fremden. Lassen Sie sich nicht entmutigen, wenn Ihre ukrainischen Geschäftspartner anfangs sehr reserviert und ernst wirken. In der Ukraine traut man Fremden erst einmal nicht. Eine regelmäßige persönliche Kommunikation, am besten vor Ort, wird dies jedoch schnell ändern und ist daher immer der Schlüssel zum Erfolg.
Um die einmal aufgebaute Vertrauensbasis aufrecht zu erhalten, sollten Sie zwischen Ihren Besuchen in der Ukraine unbedingt öfters einmal zum Telefonhörer greifen. Unpersönliche E-Mails werden hingegen nur wenig geschätzt und daher oft nur knapp oder auch gar nicht beantwortet.
Langwierige Meetings und ausgiebige Verhandlungen
Meetings können in der Ukraine lang und ausschweifend sein. Eine Agenda gibt höchstens eine grobe Orientierung, wird aber in den seltensten Fällen stringent abgearbeitet. Da Ukrainer personen- und beziehungsorientiert Denken und Handeln, können Sie davon ausgehen, dass in jeder Zusammenkunft viel Zeit für Small Talk und beziehungsaufbauende Gespräche aufgewendet wird. Sie sollten daher keinesfalls gehetzt auf die Uhr schauen, denn das würde als Missachtung den anderen Teilnehmern gegenüber gewertet. Planen Sie für jedes Business-Meeting mit ukrainischen Partnern ausreichend Zeit ein.
Darüber hinaus sollten Sie immer gut vorbereitet in ein Meeting gehen. Ukrainer erwarten eine faktenorientierte Präsentation Ihres geschäftlichen Vorhabens oder Ihrer Projektidee und möchten umfassend informiert werden. Auch für Verhandlungen sollten Sie stets alle Details zur Hand haben. Häufig sind Vertreter staatlicher Behörden anwesend, denn die bürokratischen Erfordernisse einer Kooperation können hoch sein. Denken Sie daran, dass die verschiedenen Vertreter unterschiedliche Informationen benötigen und seien Sie entsprechend vorbereitet. Eine professionelle Beratung kann dafür unumgänglich sein.
Daneben gilt es, in den Gesprächen stets die Interessen der Gegenseite zu erfragen und dem Gegenüber eine hohe Aufmerksamkeit zu schenken. Mit einer positiven, freundlichen Haltung erreichen Sie in der Ukraine weitaus mehr als beispielsweise durch das Ausüben von Druck. Begegnen Sie Ihren ukrainischen Geschäftspartnern auf Augenhöhe und vermeiden Sie besserwisserische Aussagen, wie etwa „Also in Deutschland machen wir das so.“
Am Ende eines Meetings oder einer Verhandlung wird in ukrainischen Unternehmen gerne ein Memo of Understanding erstellt. Diese sind nicht bindend, bilden aber eine gute Grundlage für die spätere Ausarbeitung eines Vertrages.
Aus den Augen aus dem Sinn?
Die Zeit wird in der Ukraine locker gesehen. Lange im Voraus vereinbarte Meetings, Termine und Deadlines werden gerne verschoben, wenn es dafür einen triftigen Grund gibt. Diese äußeren Umstände resultieren meist aus weiteren Terminen und Vorhaben, die durch ihr aktuelleres Auftreten einen höheren Stellenwert erlangt haben. Möchten Sie also, dass Ihre Termine und Deadlines eingehalten werden, sollten Sie regelmäßig freundlich und beziehungsorientiert kommunizieren, warum bestimmte Daten für Sie wichtig sind. Sorgen Sie einfach dafür, dass die Redensart „Aus den Augen, aus dem Sinn“ für Sie und Ihr geschäftliches Vorhaben keine Anwendung findet!
Problemen mit Flexibilität begegnen
Über auftretende Schwierigkeiten und Probleme werden Sie in der Projektkommunikation von Ihren ukrainischen Partnern nicht unbedingt informiert werden. Zum einen werden solche unangenehmen Gespräche gerne bis zuletzt vermieden. Zum anderen führt der ukrainische Fatalismus zu der Annahme, dass am Ende doch noch alles gut wird. Und dem ist oft auch so, denn ein großes Improvisationstalent führt dazu, dass das Ruder in letzter Minute noch herumgerissen wird. Aber eben erst dann – was insbesondere für deutsche Geschäftspartner, die gerne für alle Eventualitäten im Voraus planen, nicht gerade leicht zu ertragen ist.
Wie immer in der internationalen Zusammenarbeit kann eine persönliche und regelmäßige Kommunikation dafür sorgen, dass die Dinge aus deutscher Sicht etwas rechtzeitiger in die richtige Bahn gelenkt werden. Aber zeigen Sie sich auch flexibler als sonst. Mit einem Plan A, B, und C können Ihre ukrainischen Projektpartner nur wenig anfangen.
Denken Sie zudem immer daran, dass sich Konflikte in der Ukraine hauptsächlich auf der Beziehungsebene lösen lassen. Sprechen Sie kritische Punkte im Projektverlauf freundlich und lösungsorientiert an. Bieten Sie Ihre Hilfe an, wenn Sie das Gefühl haben, die Dinge nehmen einen ungünstigen Verlauf. Schimpfen oder gar Schreien am Telefon lässt Sie hingegen Gesicht verlieren und wird von ukrainischer Seite höchstens mit Trotzreaktionen quittiert. Die Projektkooperation wird dann eher schnell ein Ende finden.
Autoritärer Chef, kameradschaftliche Kollegen
In der Zusammenarbeit mit ukrainischen Unternehmen wird Ihnen sicherlich auffallen, dass der Führungsstil dort eher autoritär ist. Ukrainische Mitarbeiter erwarten dementsprechend genaue Anweisungen und eine regelmäßige Kontrolle ihrer Arbeit durch den Vorgesetzten. Mit einem partizipativen Führungsstil ihres deutschen Projektleiters, der ihnen Handlungsspielraum gibt und dafür Eigenverantwortung verlangt, können sie daher häufig nur wenig anfangen. Es ist unter ukrainischen Mitarbeitern nicht unbedingt erstrebenswert, sich bei der Arbeit persönlich einzubringen und im Gegenzug Verantwortung übertragen zu bekommen. Die Entscheidungsbefugnis wird alleine bei der Führungskraft gesehen, der man Loyalität und Gehorsam entgegenbringt. Diese Unterschiede in der Führungskultur sollten Sie beherzigen, wenn Sie in der Ukraine eine Leitungsfunktion ausüben oder ukrainische Mitarbeiter zu ihrem Team zählen.
Eine kameradschaftliche Beziehung wird zwischen Kollegen und Team-Mitgliedern der gleichen hierarchischen Ebene gepflegt. Das ausgiebige Feiern eines Geburtstages in der Abteilung gehört auf jeden Fall zum Arbeitsalltag dazu. Je nach Hierarchieebene spendiert das Geburtstagskind nicht nur Kuchen und Sekt, sondern durchaus auch ein opulentes Buffet. Die Rolle des guten Betriebsklimas für die Mitarbeitermotivation und -bindung sollten Sie in der ukrainischen Arbeitswelt keinesfalls unterschätzen.
Herzliche Gastfreundschaft
Als deutscher Geschäftspartner zu Besuch in der Ukraine wird man Ihnen eine große Gastfreundschaft und Großzügigkeit entgegenbringen. Ausgiebige gemeinsame Essen gehören zu einem Geschäftsbesuch unbedingt dazu. Sie sollten Ihrer Wertschätzung für die Mühen stets Ausdruck verleihen. Noch wichtiger ist, die erfahrene Gastfreundschaft bei einem Gegenbesuch in Deutschland zu erwidern.
Gemeinsam essen …
Beachten Sie zudem einige Kniggeregeln. Die Tischmanieren sind ähnlich wie im westeuropäischen Raum, man isst mit Messer und Gabel und die Hände sollten stets sichtbar auf dem Tisch ruhen. Beginnen Sie jedoch erst mit dem Essen, wenn der Gastgeber die Gabel zum Mund führt. Außerdem wird im Restaurant der älteste Gast oder auch der Ehrengast zuerst bedient.
Sie sollten alle Ihnen dargebotenen Speisen zumindest probieren. Etwas abzulehnen, wird tendenziell als Beleidigung des Gastgebers empfunden. Häufig werden Sie aufgefordert, sich erneut zu bedienen. Daher empfiehlt es sich, den Teller zu Anfang des Essens nicht zu sehr zu füllen.
… und trinken
Trinksprüche sind Teil der ukrainischen Esskultur und werden während eines Abends häufig ausgebracht. In der Regel macht der Gastgeber den Anfang. Als Ehrengast einer Gesellschaft sollten Sie seinen Trinkspruch erwidern. Meist wird das Glas „auf gute Gesundheit“ („za vashe zdorovya“) gehoben. Sie dürfen aber auch auf die gute Zusammenarbeit, die Freundschaft und den Erfolg der Geschäfte trinken. In der Regel wird zum Anstoßen Wodka serviert, wobei Sie das Glas nicht jedes Mal leeren müssen. Denken Sie aber an die Regel, dass jede geöffnete Flasche auch getrunken werden muss. Leere Flaschen werden übrigens sofort abgeräumt, denn sie sind ein Omen für finanzielle Verluste. Beherzigen Sie zumindest diesen einen Hinweis, dann steht einem geschäftlichen Erfolg in der Ukraine eigentlich fast nichts mehr im Wege…
Autorin: Katrin Koll Prakoonwit – Bevor sie sich als Journalistin selbständig machte, schrieb Katrin Koll Prakoonwit Länderanalysen für die FAZ. Heute arbeitet sie für Publikationen verschiedener Beratungsunternehmen und Verlage.FrauKoll Prakoonwit lebt in Reading, Berkshire, bei London.