Golfarabisches Führungsverständnis

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Das golfarabische Führungsverständnis basiert zu einem wesentlichen Teil auf dem Prinzip der Schura. Die Schura ist im Koran, dem heiligen Buch der Muslime, festgelegt und im Islam eine Pflicht, der es nachzukommen gilt. Sie besagt, dass derjenige, der Macht besitzt, sich beraten lassen soll.

Dahinter steht der Gedanke, dass die Gemeinschaft vor willkürlicher Machtausübung und Fehlentscheidungen, die zu Lasten aller gehen, geschützt werden soll. Weiterhin ist in der Schura geregelt, dass alle Gemeindemitglieder dazu aufgerufen sind, sich zu einem Thema zu äußern, und zwar derart, dass der Friede in der Gemeinschaft keinen Schaden nimmt.

Kurzfristige Beratungskomitees

In golfarabischen Unternehmen werden Sie oft beobachten, dass in Anlehnung an die Schura kurzfristig Beratungskomitees einberufen werden, etwa um ein Problem zu lösen oder um ein Projekt in die Wege zu leiten, und anschließend wieder aufgelöst werden.

Der Chef, von dem nicht erwartet wird, dass er das größte Fachwissen besitzt, wird die seiner Meinung nach fähigsten Mitarbeiter um sich scharen und sich von ihnen beraten zu lassen. Er soll möglichst viele Sichtweisen in Betracht ziehen, um darauf stützend weise Entscheidungen zu fällen.

Der Vorteil dieser Vorgehensweise liegt auf der Hand. Führt eine derart gefällte Entscheidung doch nicht zum erwünschten Ziel, bleiben das Gesicht, das Ansehen und die Autorität des Entscheidungsträgers gewahrt, da er sich ja von Experten hat beraten lassen.

Auswahl der Führungsspitze

Das Prinzip der Schura führt auch dazu, dass in den meisten golfarabischen Unternehmen nicht unbedingt die Kompetentesten die Führungsspitze bilden. Diesen Platz einzunehmen, ist hier keine Frage des Universitätsabschlusses, sondern eine der Autorität, des Ansehens und der biologischen Gegebenheiten, wie etwa Geschlecht und Alter. Junge Frauen in Führungspositionen sind daher eher selten.

Also, auch wenn der golfarabische Unternehmensleiter nicht der kompetenteste im Team zu sein scheint, geben Sie ihm das keinesfalls zu verstehen! Und zweifeln Sie niemals öffentlich seinen Fähigkeiten an. Wahren Sie stattdessen sein Gesicht, indem Sie gemäß der Schura Beraterkomitees bilden.

Drop-down-Prinzip

In der golfarabischen Geschäftswelt orientiert man sich an religiösen Traditionen und an der Stammesgesellschaft. Die Regeln, die hier gelten, werden in die Unternehmen übertragen. Die Vater-Sohn-Beziehung aus der privaten Gemeinschaft herrscht in der Firma zwischen Chef und Mitarbeitern.

Golfarabische Unternehmen funktionieren nach dem Drop-Down-Prinzip. Der Vorgesetzte sagt gemäß seiner Stellung als Patriarch, was die Mitarbeiter zu tun haben. In Anlehnung an die in der Schura vorgesehene Beratung dürfen die Angestellten zwar ihre Meinung äußern, jedoch muss der Chef diese Vorschläge nicht annehmen.

Mit diesem patriarchalischen Führungsstil haben Mitarbeiter in golfarabischen Ländern allerdings kein Problem. Im Gegenteil. Golfarabische Angestellte übernehmen ohnehin nicht gerne Verantwortung. Sie verrichten lieber Aufgaben nach klaren Anweisungen in einem ihnen zugewiesenen Bereich.

Zudem sind die Angestellten ihrem Vorgesetzten gegenüber sehr loyal. Im Gegenzug ist der Chef für das Wohlergehen seiner Mitarbeiter verantwortlich. Und dies geht weit über den rein geschäftlichen Bereich hinaus.

Wenn Sie selbst von Ihrer Firma in einen Golfstaat entsendet werden, um dort eine Niederlassung aufzubauen oder ein Projekt zu leiten, dann denken Sie als Vorgesetzter an das Drop-Down-Prinzip. Erwarten Sie nicht, dass golfarabische Mitarbeiter selbstständig arbeiten oder Verantwortung übernehmen. Sie möchten stattdessen in einem klar abgegrenzten Bereich genau definierte Aufgaben ausführen. Demnach arbeiten golfarabische Angestellte lieber in Teams, in denen die Verantwortung auf mehrere Schultern verteilt werden kann. Diesem Wunsch entsprechen Sie zum Beispiel mit der Einrichtung von Großraumbüros am ehesten.

Chef auch nach Feierabend

Als Oberhaupt eines Unternehmens kann man in der golfarabischen Welt die Chefrolle nicht einfach abstreifen, wenn man das Bürogebäude verlässt. Denn gleichzeitig übernimmt man im privaten Bereich die Aufgabe des Clan-Chefs. Firmenleiter werden als respektierte und geachtete Personen oft auch bei privaten Disputen als Berater hinzugezogen.

Da das Wort Familienunternehmen in arabischen Ländern absolut wörtlich zu verstehen ist, wird vom Firmenchef auch erwartet, sich für seine Familie einzusetzen. Wenn der Cousin einen Job sucht, ist es selbstverständlich, sich darum zu bemühen, für diesen eine Anstellung im Unternehmen zu finden. Allerdings darf er, nachdem alle Bemühungen gescheitert sind, ruhig sagen, dass er keine Chancen dafür sieht.

Wichtig sind in arabischen Ländern nicht die Taten, sondern die Absichten. Nur danach wird man beurteilt. Wenn der Firmenchef also alles versucht hat, um seinen Cousin in Lohn und Brot zu bringen, und es misslungen ist, dann wird ihm die Familie deshalb nicht den Rücken zukehren. Denn es ist wichtig, dass er alles dafür getan hat. Wie gesagt, es ist die Absicht, die zählt.

Alles in allem sollten Sie sich dessen bewusst sein, dass Sie als Führungskraft die Vaterrolle für Ihre Mitarbeiter übernehmen müssen – und zwar auch nach Dienstschluss. Darüber hinaus kommen die sozialen Komponenten stärker zu Geltung. Wenn etwa ein Angestellter zu Hause ein krankes Kind zu versorgen hat, dann sollten Sie diesen keinesfalls dazu verdonnern , bis zum Feierabend in der Firma zu bleiben.

In Gottes Händen

Für Golfaraber liegt die Zukunft in Gottes Händen. Und weil nach diesem Leitsatz auch in der golfarabischen Geschäftswelt verfahren wird, sollten Sie sich diesen rot unterstreichen. Denn mit dem Wissen darum, dass sich auch das Geschäftsleben in arabischen Ländern auf die Gegenwart und weniger auf die Zukunft konzentriert, können Sie Missverständnissen und unterschiedlichen Erwartungshaltungen vorbeugen.

Auch für die Mitarbeiterführung kann dieses Hintergrundwissen ganz entscheidend sein. Sie können mit einem golfarabischen Team nur bedingt langfristig planen. Entfernen Sie sich von dem Gedanken „Ich hätte das eigentlich schon mal gerne durchgeplant.“ Denn Golfaraber planen ungern Termine, die mehrere Wochen in der Zukunft liegen. Bis dahin kann so viel Unvorhergesehenes passieren. Denn die Zukunft liegt nun einmal in Gottes Händen.

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Über den Autor

Steffen Henkel

Geschäftsführender Gesellschafter der crossculture academy

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