Das bulgarische Zeitverständnis

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In polychronen Kulturen, zu denen auch Bulgarien gehört, ist die Zeit ein Raum, in dem mehrere Aktivitäten zugleich passieren. Zeit ist eine Naturgewalt, deshalb ist sie schwierig zu „bändigen“. Bulgaren versuchen Termine und Fristen einzuhalten, aber es liegt nicht immer in ihrer Macht. Oft gibt es unkalkulierbare Ereignisse, die auch die sorgfältigste Planung beeinflussen können. In Bulgarien wird deshalb eher kurzfristig und in groben Zügen geplant. Ein Plan dient Bulgaren als Richtlinie, seine Einhaltung ist wünschenswert, aber nicht obligatorisch.

Im Hier und Jetzt

Bulgaren leben in der Gegenwart. In der bulgarischen Geschichte gab es viele Kriege und Jahrhunderte unter Fremdherrschaft. Im 11. Jahrhundert lenkten die Byzantiner das Schicksal der Bulgaren, im 14. Jahrhundert kamen die Osmanen und in der neueren Geschichte bestimmte die Sowjetunion 45 Jahre die Zukunft Bulgariens. Eine sichere politische Lage, die auch eine stabile, langfristige Wirtschaftsentwicklung und die entsprechende Planung zuließ, gab es selten. Deshalb sind die Bulgaren kurzfristig orientiert und versuchen das Beste aus der Gegenwart zu machen. Sie leben nach dem Motto: „Iss, trink und trage deine neuen Kleider, da du nicht weißt, was morgen passiert.“

Diese Einstellung kommt auch im Geschäftsleben zum Tragen. Seit der Wende 1989 befindet sich Bulgarien im Umbruch – und zwar gesellschaftlich, politisch und wirtschaftlich. Seit dem Beitritt in die Europäische Union 2007 werden die Gesetzgebung sowie das Banken-, das Finanz- und das Steuersystem an das EU-Recht angepasst. Fast jeden Tag werden neue Regelungen und Direktiven verabschiedet. In diesem schnell wechselnden Geschäftsumfeld ist es für Firmen schwierig, eine zuverlässige, langfristige Planung zu erarbeiten.

Kurzeitorientierung dominiert

Die Kurzzeitorientierung äußert sich auch beim Abschluss von Geschäften. Viele bulgarische Unternehmer streben nach kurzfristigen Gewinnen. Ihr primäres Ziel bei Verhandlungen ist der sofortige Profit. Gewinnen Sie das Vertrauen Ihrer bulgarischen Verhandlungspartner und überzeugen Sie sie von den Vorteilen einer langfristigen Geschäftsbeziehung.

Termine werden in Bulgarien ebenfalls kurzfristig geplant. Auch Besuche ohne vorherige Ankündigung kommen oft vor. Terminabsprachen, die über eine Woche hinausgehen, liegen für Bulgaren in ferner Zukunft. Deshalb ist es ratsam, Termine mit bulgarischen Geschäftspartnern oder Kollegen ein bis zwei Tage vorher noch einmal bestätigen zu lassen.

Keine genaue Planung bedeutet auch keine Einhaltung von Terminen. Bulgaren können schwer einschätzen, wann sie mit einer Sache fertig sein werden, damit sie pünktlich zur nächsten Verabredung erscheinen. Verspätungen von 15 Minuten sind sowohl im Privat- als auch im Berufsleben üblich.

In der Zusammenarbeit mit bulgarischen Geschäftspartnern sollten Sie nicht versuchen, ihren Umgang mit der Zeit zu ändern. Passen Sie lieber Ihre Vorgehensweise und Terminplanung an. Zerlegen Sie größere Projekte in mehrere Schritte. Zur Sicherung eines Abgabetermins sollten Sie regelmäßige Statusberichte verlangen. Mit etwas Geduld und einer Prise Humor werden Sie und Ihre bulgarischen Kollegen alle zeitlichen Engpässe erfolgreich meistern.

Autorin: Eugeniya Weber – Diplom-Ökonomin Eugeniya Weber ist in Bulgarien geboren und aufgewachsen. Nicht nur die enge Beziehung zu ihrem Heimatland macht sie zu einer ausgezeichneten Trainerin. Ihre Seminare bietet Eugeniya Weber in drei verschiedenen Sprachen an: Deutsch, Bulgarisch und Englisch. Sie unterstützt ihre Kunden mit verschiedensten systemischen Coaching-Methoden.

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Über den Autor

Steffen Henkel

Geschäftsführender Gesellschafter der Crossculture Academy

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