Besondere Stärken und Bedürfnisse von Third Culture Kids

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Kinder von Diplomaten, Missionaren, Bundeswehrangehörigen oder Entsandtkräften international operierender Unternehmen zählen häufig zu den „Third Culture Kids“: ein Begriff, den die Soziologen Ruth Hill Useem und John Useem in den sechziger Jahren für Kinder geprägt haben, die mit ihren Eltern in eine fremde Kultur ziehen. Diese Kinder fühlen sich meist weder in der Kultur der Eltern noch in der des Gastlandes richtig zu Hause, sondern bewegen sich in einer speziellen Expatriate-Kultur, der sogenannten „Third Culture“ oder „Drittkultur“.

Für ihr weltweit anerkanntes Buch „Third Culture Kids – The Experience of Growing Up Among Worlds” haben die Autoren Ruth van Reken und David Pollock diese Definition noch erweitert. Ein Third Culture Kid oder TCK ist für sie „ein Individuum, das entscheidende Teile seiner Entwicklung (Jugendzeit) in einer Kultur verbracht hat, die nicht der Kultur der Eltern entspricht. Es entwickelt in dieser Zeit Beziehungen zu allen Kulturen, macht sich aber keine vollständig zueigen. Elemente jeder erfahrenen Kultur prägen die eigene Lebenserfahrung, aber ein wirkliches Zugehörigkeitsgefühl entwickelt es nur in Beziehungen zu Menschen mit einem ähnlichen Erfahrungshintergrund.“ Zwei Faktoren sind es dabei, die die Welt von TCK entscheidend prägen:

1. Das Heranwachsen in einer fremden Kultur:

Erwachsene, die für einige Jahre im Ausland leben, konnten ihre kulturelle Identität, ihr Wertesystem und ihre engen Beziehungen zu Freunden und Verwandten lange vorher in ihrem Heimatland entwickeln. Sie sehen sich deutlich als Deutsche, Engländer oder Franzosen, die vorübergehend in einer anderen Kultur zu Hause sind. Kinder, die im Ausland aufwachsen, erleben die fremde Kultur in den prägenden Jahren, noch bevor sie eine eigene eindeutige kulturelle Identität entwickelt haben. Bei jedem Umzug in ein anderes Land ändern sich Werte und Verhaltensweisen oft radikal, was ihre kulturelle Orientierung maßgeblich beeinflusst.

2. Eine hohe Mobilität:

Nicht selten wechseln Expatriates alle zwei, drei Jahre ihren Standort. Gleichzeitig herrscht an den Entsendungsorten selbst ein permanentes Kommen und Gehen. Expat-Kinder erleben daher einen ständigen Kreislauf aus Abschied nehmen, Veränderung, Kontakte knüpfen, Anpassung, sich zuhause fühlen und erneutem Abschied.

Besondere Persönlichkeiten

TCK sehen und interpretieren ihre Umgebung oft anders als Nicht-TCK, weil sie mehrere verschiedene Weltanschauungen und Überzeugungen kennen. Sie machen häufig einen interessierten, kosmopolitischen Eindruck und wirken selbstständig und selbstbewusst. Nicht selten verblüffen sie durch ihre Weitsichtigkeit, ihre Offenheit und Toleranz.

Nichtsdestotrotz bringt das Leben als TCK auch Schwierigkeiten mit sich. Viele Drittkultur-Kinder empfinden beispielsweise ein Gefühl der Rastlosigkeit. Weil sie oft umziehen, haben sie nie die Möglichkeit gehabt, eine tiefere Bindung zu einem Ort aufzubauen und sich dort wirklich zuhause zu fühlen. Gleichzeitig tragen viele eine versteckte Trauer mit sich herum, denn sie haben das Gefühl, bei jedem Wegzug aus einer Kultur etwas verloren oder zurückgelassen zu haben. Im neuen Land angekommen, will niemand so wirklich etwas von ihrem alten Leben wissen, sondern alle hoffen auf eine möglichst schnelle Anpassung an die neuen Gegebenheiten. Eltern neigen daher während der Umzugszeit schnell dazu, mit Sätzen wie „Aber hier ist es doch viel schöner!“ oder „Du wirst sehen, bald wirst du nicht mehr daran denken!“ über aufkommende negative Gefühle hinwegzutrösten. Wiederholte Trennungen lassen eine Anzahl von TCK auch dazu neigen, eher zögerlich neue Freundschaften zu schließen, um den potenziellen Trennungsschmerz im Falle eines erneuten Ortswechsels von vorneherein zu vermeiden.

Wie Eltern TCK in Umbruchzeiten unterstützen können

Je nach Altersstufe nehmen Kinder einen Umzug in ein neues, fremdes Umfeld anders wahr und benötigen die Unterstützung ihrer Eltern in unterschiedlicher Weise:

Babys und Kleinkinder

Kinder unter einem Jahr meistern einen Umzug in der Regel problemlos. Da sie sich jedoch sehr stark an der Befindlichkeit von Mutter und Vater orientieren, übertragen sich Stress und Anspannung der Eltern oft auch auf sie. Die Trennung von anderen wichtigen Bezugspersonen werden auch von den Allerkleinsten schon als Verlust empfunden, dem sie aber nicht wirklich Ausdruck verleihen können.

Auch wenn Sie als Eltern in der Umzugszeit eine lange To-Do-Liste erwartet: Babys benötigen eine Extraportion Aufmerksamkeit. Behalten Sie zudem, wenn irgend möglich, den gewohnten Tagesrhythmus bei.

Kleinkinder zwischen ein und drei Jahren bevorzugen im Allgemeinen Stabilität und verlässliche Routinen. Beides wird durch einen Umzug vorübergehend völlig über den Haufen geworfen. Daher empfinden sie Veränderungen meist als beängstigend und reagieren darauf mit ganz unterschiedlichen, oft untypischen Verhaltensweisen.

Meist sind Kleinkinder noch ganz auf ihre Eltern fixiert: Geht es den Eltern im Ausland gut, werden sie sich daher nach einer – manchmal anstrengenden – Eingewöhnungsphase ebenfalls rasch wohlfühlen. Je schneller die gewohnten Routinen wieder eingeführt sind, umso besser.

Kindergarten- und Vorschulkinder

Kinder im Kindergarten- bzw. Vorschulalter spüren Aufregung oder Vorfreude der Eltern genau und reagieren oft ähnlich. Dabei dürfen Eltern jedoch nicht vergessen, dass Kinder dieser Altergruppe noch nicht wirklich überblicken, was ein Umzug in ein anderes Land langfristig bedeutet. Dass das Bett und die Bücher aus dem Kinderzimmer mitkommen, die Oma und die Nachbarn aber da bleiben, ist ihnen oft nicht wirklich bewusst. Ebenso wenig, dass ein Umzug viel Arbeit und Aufregung mit sich bringt. Stattdessen beziehen Kinder in diesem Alter die Reaktionen der Erwachsenen oft auf sich selbst: Wenn Mutter oder Vater durch den Stress der Ausreisevorbereitungen gereizt sind, glauben sie häufig, sie selbst seien dafür der Auslöser.

Eltern sollten mit ihren Kindergarten- oder Vorschulkindern frühzeitig über den bevorstehenden Umzug sprechen und erklären, was demnächst an Veränderungen ansteht und warum bestimmte Dinge passieren. Oft sind Bilderbücher dabei eine große Hilfe. Besonders wichtig ist der Hinweis, dass alle Dinge, die nach und nach in Kisten verschwinden, nicht verloren gehen, sondern in der neuen Wohnung wieder ausgepackt werden. Kleine Aufgaben beim Packen geben Kindern das Gefühl, am Geschehen beteiligt zu sein.

Grundschulkinder

Kinder im Grundschulalter strecken ihre Fühler verstärkt auch außerhalb der Familie aus. Schule, Hobbys und Freunde haben in ihrem Alltag bereits eine große Bedeutung, so dass eine Trennung als sehr schmerzhaft erlebt wird. Meist setzt diese Trauer etwa vier bis sechs Wochen nach dem Umzug ein, wenn die erste „Urlaubsstimmung“ verflogen ist. Dann wird den Kindern bewusst, was sie zurückgelassen haben.

Bei Grundschulkindern sind Neugier und Entdeckungsfreude besonders groß. Das gibt Eltern die Chance, ihre Kinder durch ein intensives Einbeziehen für das „Abenteuer Ausland“ zu begeistern. Reden Sie ausgiebig über das Entsendungsland und den Alltag, der die Familie voraussichtlich erwarten wird. So können Sie die Ängste vor dem Unbekannten minimieren. Die Erfahrung zeigt außerdem, dass Grundschulkinder eine neue Kultur häufig besonders bereitwillig aufnehmen.

Teenager

Einige Teenager sehen einen Auslandsaufenthalt als großartige Chance, einem als langweilig empfundenen Alltag zu entfliehen. Viele wehren sich aber vehement gegen die Aussicht auf einen Ortswechsel und unterstellen den Eltern, sie würden ihr Leben ruinieren. Derart heftige Reaktionen sind verständlich, wenn man bedenkt, wie wichtig Freunde und Schulkameraden in diesem oft allgemein schwierigen Alter sind. Gleichzeitig beschneidet ein Auslandsumzug die Jugendlichen in ihrem Streben nach Selbständigkeit. Statt sich mehr und mehr von den Eltern zu lösen, sind sie zumindest in den ersten Monaten nach einem Umzug wieder sehr viel stärker von ihrer Familie abhängig, als ihnen lieb ist. Nicht zu unterschätzen ist das Thema Schule. In höheren Jahrgangsstufen ist ein Wechsel in ein anderes Schulsystem, möglicherweise mit Unterreicht in einer anderen Sprache, fast immer mit Schwierigkeiten und einem hohen persönlichen Einsatz verbunden. Die Zeit bis zu den Abschlussprüfungen ist oft knapp bemessen, was den empfundenen Leistungsdruck maßgeblich erhöht. Auf der Positiv-Seite steht, dass gerade Teenager von der Begegnung mit einer fremden Kultur stark profitieren. Sie erweitern ihren Horizont und gewinnen ein realistischeres Weltbild. Und auch der Schulwechsel bringt letztlich neues Wissen, ein flexibleres Lernen und Arbeiten sowie große Chancen für den späteren Berufseinstieg mit sich.

Das (innerliche) Abschiednehmen braucht Zeit und es ist hilfreich, wenn ein großer Teil der Wut und der Trauer verarbeitet werden kann, bevor der Teenager am neuen Wohnort ankommt. In dieser Zeit sollten Eltern besonders hellhörig sein und immer wieder signalisieren, dass sie Gefühle wie Trauer, Ängste und Wut verstehen – ohne die Dinge schön reden zu wollen, aber auch ohne übertriebenes schlechtes Gewissen. Gerade für Jugendliche ist es wichtig, sich in einer Clique akzeptiert zu fühlen und „dazu“ zu gehören. Achten Sie deshalb auch darauf, im Vorfeld so viel wie möglich über das neue Lebensumfeld in Erfahrung zu bringen: Schule, Freizeitaktivitäten und auch die Art der angesagten Kleidung. Spendieren Sie ruhig für den Start in der neuen Schule eine dort angesagte Schultasche und/oder ein neues Outfit. Das hilft dem Teenager mehr dabei, sich nicht wie von einem anderen Stern zu fühlen, als Tausend gut gemeinte Worte.

Junge Erwachsene

Im Erwachsenenalter werden aus Drittkulturkindern sogenannte Adult Third Culture Kids (ATCK), die viele typische Eigenschaften und Prägungen teilen. Dazu zählen interkulturelle Erfahrungen, eine große Anpassungsfähigkeit, eine hohe Flexibilität und ein weiter Horizont, aber auch Wurzellosigkeit und spezielle Beziehungsmuster bedingt durch häufige Abschiede und Trennungen. Viele ATCK werden nie richtig sesshaft, wechseln häufig den Job und leben in verschiedenen Ländern.

Was gibt generell Stabilität?

Eltern sollten in Phasen der Unsicherheit ein verlässlicher und schützender Faktor im Leben ihrer Kinder sein. Dazu gehört unter anderem, genau hin zu schauen, wie es ihnen geht, und auch hellhörig zu sein für das, was nicht offen ausgesprochen wird. Ruth van Reken empfiehlt, Kinder bei einem Wegzug in ein neues Land erst ausreichend trauern zu lassen, bevor man sie dazu ermutigt, den Abschied zu überwinden und sich dem Neuen zu öffnen.

Darüber hinaus prägt das Verhalten der Eltern das ihrer Kinder. Deshalb ist es wichtig, dass Sie bewusst und offensichtlich mit den Herausforderungen einer Veränderung umgehen, Gefühle ausdrücken und Probleme aktiv lösen. Geben Sie ruhig zu, dass auch Sie der Abschied traurig macht – das kann für Ihre Kinder eine große Erleichterung sein. Aber zeigen Sie ihnen anschließend auch, dass Sie dem Leben im neuen Land positiv begegnen möchten. Es gilt, das Gastland wirklich zu entdecken und sich an den Vorteilen des mobilen Lebens zu erfreuen. Wichtig sind daneben Kontakte zu neuen Freunden und zur Expat-Community, die fern der Heimat durchaus Funktionen eines erweiterten Verwandtennetzes übernehmen können. Daneben sollte die Familie für ihre Heimaturlaube über einen festen Ort verfügen, an den sie jedes Jahr zurückkehrt. Auf diese Weise bekommen TCK das Gefühl, dass auch für sie so etwas wie eine unveränderliche Heimat existiert.

Unsere Zukunft ist von wachsender Internationalität und Mobilität gezeichnet, so dass künftig immer mehr Jugendliche und Erwachsene in ihrer Persönlichkeit die Spuren verschiedener kultureller Einflüsse entdecken werden. TCK mit all ihren Stärken und Herausforderungen sind daher die Vorreiter einer neuen Generation, die multikulturell heranwächst.

Katrin Koll Prakoonwit, Redaktion

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