Bei Anruf Kulturschock!

Am indischen Technologiestandort Bangalore sprechen die Arbeitskräfte gut Englisch, sind inklusive IT-Kenntnisse relativ gut ausgebildet und das Lohniveau ist nach westlichen Standards niedrig. In Anbetracht dieser drei Faktoren war es in den letzten fünfzehn Jahren – und ist es auch heute noch – für viele Unternehmen in englischsprachigen Ländern ein Leichtes, ihren Kundenservice in eines der zahleichen Callcenter in Bangalore oder an anderen südasiatischen Standorten auszulagern.

Aus lokaler Sicht wiederum sind diese englischsprachigen Kundenservice-Jobs respektabel und gut bezahlt. Ein paar Hundert US-Dollar im Monat für eine 50-Stunden-Woche im Schichtdienst und eine Unterkunft im Vierbettzimmer gelten für viele Inder als höchst erstrebenswert. Das trifft auch auf zahlreiche College- und Hochschulabsolventen zu, die sich von einem Einstiegsjob als Callcenter-Agent häufig den großen Karrieresprung in ein amerikanisches oder britisches Großunternehmen erhoffen. So liegt das Durchschnittsalter in vielen indischen Callcentern in Indien bei unter 25 Jahren.

Was läuft schief?

Mittlerweile holen jedoch auch viele US-Firmen ihre Callcenter zurück ins eigene Land – und das nicht erst seit Donald Trump’s „America first“-Ankündigung. Grund ist fast immer die zurückgehende Kundenzufriedenheit, wobei natürlich neue Software-Lösungen den Kundenservice im eigenen Land mittlerweile erschwinglicher machen als noch vor fünfzehn Jahren.

Aber was geht schief, wenn amerikanische oder westliche Kunden am Kundenservice aus dem indischen Callcenter verzweifeln? Sind Sprachkenntnisse und Know-how der Mitarbeiter in Bangalore generell gut, spielen vielleicht auch kulturelle Unterschiede eine Rolle, die am Telefon vielleicht noch stärker zum Tragen kommen als bei einem persönlichen Kontakt. Die Milliarden Anrufe aus englischsprachigen Ländern zu südasiatischen Callcentern stellen mittlerweile wohl die häufigsten interkulturellen Interaktionen dar, die die globale Wirtschaft in den letzten Jahrzehnten hervorgebracht hat.


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Kaum Wissen über die andere Seite

Während westliche Kunden oft nicht wissen, wo sie eigentlich anrufen, wenn sie die Servicenummer eines Unternehmens wählen, werden indische Callcenter-Mitarbeiter auf ihren Kundenkreis zumindest ansatzweise vorbereitet. So steht vor dem Start als Callcenter-Agent ein mehrwöchiges Training an. Im positiven Fall handelt es sich dabei um ein bezahltes Inhouse-Training nach der Einstellung bei einer indischen Callcenter-Firma oder einem ausgelagerten Standort eines globalen Unternehmens. Im schlechten Fall zahlen Interessenten vorab privat für einen Einführungskurs, der ihnen ein akzentfreies Englisch und Einblick in westliche Kommunikationsstile geben soll. Mit einem entsprechenden Abschlusszertifikat in der Tasche können sie sich dann um einen der zahlreichen Callcenter-Jobs bewerben. Neue Kräfte werden immer gesucht, denn die meisten Callcenter-Agenten bleiben nicht länger als drei bis fünf Jahre. Danach sind sie ausgebrannt, die harten Arbeitsbedingungen wie auch ein schleichender Identitätsverlust macht irgendwann jedem zu schaffen.

Trotz eines vorbereitenden Trainings im Vorfeld erleiden so gut wie alle indischen Callcenter-Mitarbeiter einen massiven Kulturschock, wenn sie am Telefon auf amerikanische, kanadische, britische oder australische Kunden treffen. Dieser ist nicht nur darauf zurückzuführen, dass viele Kunden anrufen, um sich massiv und teils durchaus aggressiv über Mängel in der Dienstleistung des Unternehmens zu beschweren, welches das jeweilige indische Callcenter vertritt.

Der Kulturschock besteht auch darin, dass sich die indischen Mitarbeiter 50 Stunden die Woche ausschließlich mit US-Amerikanern oder Briten unterhalten, ohne je im jeweiligen Land gewesen zu sein. Mentalität, Denkweise und Kommunikation beeinflussen ihre indische Mentalität intensiv und ungefiltert, während sich ihr tatsächliches Wissen über das jeweilige Land ihrer Kunden lediglich aus Bruchstücken aus Fernsehserien und den oberflächlichen Inhalten des Trainingskurses zusammensetzt. Daneben wenden sie amerikanische Small-Talk-Strategien an und werden täglich mit US-News berieselt, um über das Wetter in Texas und die National Football League plaudern zu können.

Aus Mani wird John

Die indischen Callcenter-Mitarbeiter werden vom Management dazu angehalten, wie ein Amerikaner zu handeln und zu sprechen, jedoch ohne ein Grundverständnis für die kulturellen Unterschiede zu entwickeln. Ihre Bereitschaft zu dieser „Amerikanisierung“ ist zwar generell hoch, sie basiert jedoch mehr auf ihrem persönlichen amerikanischen Traum und Fernsehbildern als auf fundierten Kenntnissen.

Viele Inder nutzen einen englischen Namen, wenn sie ihre Schicht im Callcenter antreten. Oft allein deshalb, um sich vor rassistischen Beschimpfungen ihrer Anrufer zu schützen. Mit dem Wechsel des Namens schlüpfen sie jedoch auch in ihre künstlich erzeugte amerikanische Identität, um mit Kunden einen Dialog auf Augenhöhe zu führen. Abgesehen davon reden westliche Kunden lieber mit jemandem aus dem eigenen Land. Deswegen werden Kunden auch nicht darüber in Kenntnis gesetzt, dass sie eigentlich mit Bangalore und nicht mit New York verbunden sind.

Besorgniserregend ist allerdings, dass die meisten indischen Callcenter-Agenten irgendwann ihren englischen Namen auch privat nutzen. Das ist wohl auf die langen Arbeitstage oder -nächte zurückzuführen wie auch den Versuch, sich irgendwie an die dominanten Kultureinflüsse anzupassen und die eigene kulturelle Prägung abzustreifen – ungefähr so wie den indischen Akzent im Englischen.

Indisches Servicedenken …

Die indische Mentalität bietet jedoch neben den Englischkenntnissen und dem niedrigen Lohnniveau die eigentliche Grundlage, warum Serviceleistungen aus westlichen Ländern vornehmlich nach Indien oder an andere südasiatische Standorte outgesourct werden. Da ist zum einen die stark ausgeprägte Beziehungsorientierung der Inder. Nicht die Sache steht im Mittelpunkt, sondern die gute Beziehung zum Gesprächspartner. Während also der amerikanische Kunde beispielsweise darauf pocht, dass sein Telefon nicht funktioniert und er dies umgehend repariert sehen möchte, was oft rein technisch nicht möglich ist, wird der indische Callcenter-Agent erst einmal versuchen, den Kunden auf eine harmonischere Gesprächsebene zurückzuführen. Das kann deeskalierend wirken und dem Kunden zumindest das gute Gefühl geben, dass man sich seinem Problem sofort annimmt.

Inder tendieren außerdem dazu, Probleme nicht überzubewerten und ihnen flexibel zu begegnen. Daher geht ihnen eine Antwort, wie „No problem, sir. I will personally look into it und help you with your telephone. Everything will be back to normal soon“ wahrscheinlich leichter über die Lippen als einem westlichen Kundendienstmitarbeiter, der sich vielleicht veranlasst fühlt, die technische Problematik genau zu schildern und dem Kunden damit wenig Hoffnung auf eine baldige Lösung zu machen.

Das genaue Ausdiskutieren von Sachverhalten ist in Indien nicht üblich. Die Kommunikation bleibt meist subtil und indirekt. Bestehende Probleme werden geschickt umkreist. Wer in seinem Job gut ist, der erweist dem Kunden Respekt, indem er „Ja“ sagt zu dem, was der Kunde will oder nicht will. Eine kommunikative Fähigkeit, die indischen Callcentern zugutekommt.

… versus westlicher Problemlösung

Anrufer, die wirkliche Problemlösekompetenz suchen, werden jedoch in indischen Callcentern nicht fündig werden. Argumentieren und Abwägen, um zu einer annehmbaren Lösung eines komplexen Sachverhalts zu gelangen, sind in Indien kaum als Gesprächsmodell eingeübt. Westliche Kunden fordern ein Mitdenken ihres Gesprächspartners, während sich indische Mitarbeiter in einem sehr viel enger gefassten Rahmen bewegen. Sie übernehmen nur genau definierte Aufgaben und vermeiden es tunlichst, ihre Kompetenzen zu überschreiten. Jeder sieht sich als kleines Rädchen im Getriebe – nicht mehr und nicht weniger. Passt das Anliegen des Anrufers nicht ins eingeübte Schema, werden indische Callcenter-Agenten sich der Sache eher nicht weiter annehmen.

Das frustriert westliche Kunden, die bei einem Unternehmen anrufen und eine durchdachte individuelle Lösung ihres Anliegens erwarten. Spätestens beim dritten kostenpflichtigen Anruf bei der jeweiligen Servicenummer können sie die besänftigenden Sätze der indischen Callcenter-Agenten nicht mehr hören und werden vielleicht noch wütender, als sie es ohnehin schon sind. Ihre Kritik wird laut und unverblümt ausgesprochen, direkt in den Telefonhörer und ins Headset des indischen Mitarbeiters hinein.

Desillusionierung auf beiden Seiten

Aber in Indien ist so eine direkte Kritik verpönt. Wer hier offen kritisiert, verliert selbst Gesicht, weil er den anderen dadurch in eine missliche Lage bringt. Trotz ihrer oberflächlichen „Amerikanisierung“ werden indische Callcenter-Agenten von dem tagtäglichen ungebührlichen Verhalten ihrer westlichen Kunden irgendwann angewidert sein. Das anfangs strahlende Bild von Amerika, UK oder Australien verliert mit der Zeit seine Anziehungskraft. Die Realität gewinnt die Oberhand. Wie eingangs gesagt, kaum ein indischer Callcenter-Agent bleibt länger als drei bis fünf Jahre.

Und westliche Kunden entwickeln über die Jahre mehr und mehr das Gefühl, dass sie sich Anrufe bei der Servicenummer ihres Anbieters generell sparen können, weil ihnen ja doch keiner wirklich weiterhelfen wird. Die Kundenzufriedenheit sinkt, worauf westliche Unternehmen nun reagieren.
Wie könnte eine Lösung aussehen? Eine gute interkulturelle Vorbereitung für indische Callcenter-Agenten? Oder doch den Kundenservice ins eigene Land zurückholen? Westliche Unternehmen werden in den nächsten Jahren die Weichen stellen. In jedem Fall führt uns diese Lektion der Globalisierung vor Augen, was passieren kann, wenn Gesprächspartner aus höchst unterschiedlichen Kulturen mit einem gänzlich anderen Kommunikationsstil unvorbereitet aufeinandertreffen. Jeder fühlt sich gleichermaßen schlecht behandelt.

Autorin: Katrin Koll Prakoonwit – Bevor sie sich als Journalistin selbständig machte, schrieb Katrin Koll Prakoonwit Länderanalysen für die FAZ. Heute arbeitet sie für Publikationen verschiedener Beratungsunternehmen und Verlage. Frau Koll Prakoonwit lebt in Reading, Berkshire, bei London.


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