Woran denken Sie bei dem Wort „Kultur“?
Möglicherweise denken Sie dabei an Kunst, Literatur, Theater, Essgewohnheiten, Bräuche und Tradition? Das verbinden die meisten von uns damit. Sind wir in einem anderen Land, nehmen wir sie explizit wahr. Deswegen wird sie auch Explizite Kultur*genannt oder Kultur 1. Ordnung**. Das ist das, was sich beim Eisberg oberhalb der Wasseroberfläche befindet.
Uns ist klar, dass das Bild des Eisbergs nicht brandneu ist, aber es ist einfach passend. Und für alle, die deswegen jetzt nicht weiterlesen wollen: Weiter unten im Text verwenden wir noch ein anderes Modell.
Zurück zur Kultur 1. Ordnung: Schon hier kann es zu interkulturellen Kollisionen kommen. Ein Beispiel gefällig? Im November habe ich meiner lieben Mitarbeiterin Sonders Ibo aus Syrien einen Adventskalender geschenkt. Zwei Stunden später kam ich wieder in ihr Büro und habe gesehen, dass sie 5 Türchen geöffnet und die Schokolade verputzt hatte. „Du weißt nicht, was ein Adventskalender ist?“, fragte ich sie völlig verdattert. Die Antwort liegt auf der Hand und ich war ignoranterweise davon ausgegangen, dass sie diesen Brauch kennt. Nicht immer sind die Missverständnisse zwischen den Kulturen so lustig.
Normen sind für uns selbstverständlich
Sie fragen sich, ob es eine Kultur 2. Ordnung, eine Implizite Kultur gibt? Gibt es. Unterhalb der Wasseroberfläche tummeln sich ungeschriebene Gesetze, Normen und Werte, die leider, leider in keinem praktischen Handbuch für Expats festgehalten sind. Sie sind so selbstverständlich für uns, dass wir gar nicht auf den Gedanken kommen, darüber zu sprechen. Sie ahnen es: Das birgt eine Menge Konfliktpotenzial.
Denn ruckzuck sitzen wir in der sogenannten Ähnlichkeitsfalle und es knirscht in der interkulturellen Kommunikation. Warum? Weil wir nicht im Entferntesten daran denken, dass es andere Sichtweisen oder ein anderes Verständnis für eine Situation geben kann. Diese Ignoranz oder Unbedachtheit kann viel Schaden anrichten, weswegen wir in unseren Trainings immer auch einen Fokus auf der interkulturellen Kommunikation haben und den Blick darauf lenken, was sich unterhalb der Wasseroberfläche befindet.
Kontrollieren oder sich kümmern?
Ein Auslandsaufenthalt bietet tolle Chancen, sich beruflich und persönlich weiterzuentwickeln – gar keine Frage. Sie lernen eine andere Kultur und neue Menschen kennen und erleben einen völlig neuen Alltag. Dieser Blick über den Tellerrand kann absolut bereichernd sein.
Lassen Sie mich das anhand eines Beispiels erklären: Der Chef einer polnischen Firma ruft seinen kranken Mitarbeiter, der aus Deutschland stammt, zu Hause an und erkundigt sich, wie es ihm geht. Wie interpretieren Sie das? Kontrolliert er, ob er tatsächlich arbeitsunfähig ist? Oder gehört es in Polen wie in vielen anderen Ländern dazu, dass sich der Chef um seine Mitarbeiter kümmert? Letzteres ist der Fall. Da gilt es als Expat, wach zu sein und nicht sofort wie gewohnt zu reagieren.
Implizite Kultur zeigt sich in expliziter Kultur
Natürlich lassen sich die beiden Ebenen nicht immer scharf voneinander trennen. Ein spannendes Beispiel dafür ist die Streitkultur in Deutschland und in Großbritannien. Ist Ihnen schon aufgefallen, dass sich der konfrontative, kämpferische Stil der Briten deutlich in der Architektur des Parlaments zeigt? Hier sitzen sich die Parteien gegenüber, brüllen sich an oder diskutieren lautstark. Unvorstellbar bei uns, nicht wahr? Lieber reden wir noch einmal ganz in Ruhe über eine Sache und versuchen, einen Kompromiss zu finden. Konsens ist gefragt. Die ringförmige Sitzordnung im Deutschen Bundestag spiegelt das nur allzu gut wider.
Modell für alle Nicht-Eisberg-Fans
So, und nun machen wir wie versprochen die Definition der Kultur an einem zweiten Modell deutlich:
Der äußere Kreis symbolisiert die explizite Kultur: Kunst, Literatur, Theater, Essgewohnheiten, Bräuche und Tradition
Der innere Kreis steht für Werte und Normen: Ungeschriebene Gesetze, Werte und Normen, über die man nicht spricht, sondern von denen man ausgeht, dass sie jeder kennt. Das führt in der interkulturellen Kommunikation oft zu Missverständnissen und Konflikten.
Der Mini-Kreis in der Mitte verdeutlicht die implizite Kultur: Diesen Bereich erreichen wir nur sehr, sehr schwer, da er uns förmlich in Fleisch und Blut übergegangen ist, wir uns dessen nicht bewusst sind und ihn nicht infrage stellen.
Hier ein Beispiel: Warum grüßen wir uns? Hä? Entschuldigung: Wie bitte? Was ist denn das für eine Frage? Sehen Sie? Das meinen wir.
Und so setzen Sie dieses Wissen um:
- Schauen Sie sich ganz genau an, was oberhalb und unterhalb der Wasseroberfläche ist.
- Kommen Sie den Verbindungen von beiden Seiten auf die Spur. Das macht Spaß und ist spannend! Fühlen Sie sich als Kultur-Detektiv und erschließen Sie sich die anfangs fremde Kultur Stück für Stück.
- Seien Sie sich bewusst, dass Dinge, die oberhalb gut laufen, unterhalb schon völlig schief laufen können.
- Suchen Sie sich einen Partner, mit dem Sie sich über Ihre Eindrücke und Gedanken austauschen können.
- Lassen Sie sich von Profis wie uns begleiten.
Autorin Andrea Toll & Autor Steffen Henkel